Seit dem Jahr 2000 sind nach offiziellen Statistiken 23.000 Menschen bei dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren, um in Europa Schutz vor Krieg, Folter, Verfolgung und Hunger zu finden, gestorben. Alleine im letzten Jahr starben 3400, erst diese Woche ertranken 400 Flüchtende vor der Küste Lybiens in einem völlig überfüllten Boot. Während das Gedenken an die 138 Mauertoten des deutschen Grenzstreifens regelmäßig eine halbe Stadt in einen Ausnahmezustand versetzt, findet das tägliche Sterben an den Außengrenzen Europas jedoch kaum Beachtung. Der kurze Aufschrei nach dem Bootsunglück vor Lampedusa im Jahr 2013, bei dem 390 Menschen starben und die Politik einen „Wandel“ in der menschenverachtenden Flüchtlingspolitik des Friedensnobelpreisträgers Europas verkünden ließ, verstummte so plötzlich wie er kam. Die Gelder, die sie dafür versprachen, wurden stattdessen für die Aufrüstung der europäischen Außengrenze verwandt. Die Berichterstattung über 400 Flüchtlingstote verschwindet wieder hinter den Bundesligaergebnissen. Und während die Toten von Lampedusa posthum die italienische Staatsbürgerschaft erhielten wurde das Sterben vor Europas Grenzen wieder business as usual.

Die Menschen, die den Fassbomben des Assad-Regimes, den blutrünstigen Männerhorden des IS und Boko Harams entkommen sind, werden von Drohnen, Stacheldrahtzäunen, prügelnden Grenzbeamt_innen und den unmenschlichen Zuständen in den überlasteten Aufnahmelagern empfangen. In zahllosen Fällen sind sie dort den Übergriffen durch Sicherheitsbeamt_innen ausgesetzt. Die Menschen, die nichts als dem täglichen Hunger entkommen wollen erwartet die Etikettierung als ‘Wirtschaftsflüchtling’ durch die geballte Dummheit des deutschen Volkes und die damit einhergehende Ablehnung ihres Asylgesuchs. Statt „Hilfe“ durch den Staat zu erfahren, der sie vor 70 Jahren in KZ s deportierte werden Sinti und Roma in die Länder abgeschoben, deren diskriminierenden Zuständen sie zu entfliehen versuchen. Mit der geplanten Asylgesetzverschärfung will die deutsche Regierung diese Praxis nun erleichtern, indem sie weitere Staaten als ‘sichere Herkunftsländer’ einstuft. Dies würde eine weitere Aushöhlung des deutschen Asylgesetzes bedeuten, das einst als Lehre aus dem Nationalsozialismus in das deutsche Grundgesetz aufgenommen wurde.
So wichtig es ist diese weitere Asylgesetzverschärfung zu verhindern, so wichtig ist es die Kritik der staatlichen Flüchtlingspolitik zur Kritik des Staats zu radikalisieren. Statt Appelle für eine menschlichere Flüchtlingspolitik an ihn zu richten, gilt es ihn als den politischen Exekutor der kapitalistischen Verwertungslogik zu denunzieren. Die rassistische Flüchtlingspolitik der europäischen Staaten ist kein Widerspruch zu irgendwelchen bestehenden Rechten, geschweige denn zu deren Staatsräson. Sie ist die konsequente Durchsetzung des nationalstaatlichen Rechts in Zeiten einer kriselnden Weltökonomie.
Nicht das erlebte Leid der Flüchtenden, weder die Flucht vor nichts als Hunger, noch die drohenden Misshandlungen durch marodierende Rackets, und Gotteskrieger in den am Weltmarkt gescheiterten Regionen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas entscheiden über die Gewährung von Asyl. Ausschlaggebend ist der potentielle Nutzwert des Menschen, als Träger seiner Arbeitskraft, die sich möglicherweise kapitalproduktiv verwerten ließe. Die Reduktion von Menschen auf nichts als Funktionsträger, auf Sklaven der Lohnarbeit ist für den Kapitalismus konstitutiv.. In Zeiten in der die deutschen citizens darum fürchten bei aller Selbstoptimierung in die Arbeitslosigkeit abzurutschen, brennen wieder Flüchtlingsheime und die europäischen Staaten versuchen sich zunehmend gegen die zusätzliche, überflüssige Arbeitskraft der non-citizens abzuschotten. Entsagung und Ressentiment der Deutschen verlangen nach Projektion. Die Griechen sollen verhungern, der Islam raus aus Deutschland und die Opfer der Islamisten sollen da sterben, wo sie herkommen.
Nur wer in der internationalen Standortkonkurrenz profitabel zu verheizen ist, wird mit offenen Armen empfangen. Denn während tausende Menschen in deutschen Asylbewerberheimen jegliche Form eines menschenwürdigen Lebens verwehrt wird, verkünden Politiker in regelmäßigen Abständen in Zukunft mehr hochqualifizierte Arbeiter_innen aus dem Ausland anwerben zu wollen. Es geht nicht um die Linderung von Leid, sondern um den Standort Deutschland. Der Hunger einer somalischen Fischerfamilie, deren Küste von europäischen Großunternehmen leergefischt und vollgemüllt wurde, spielt keine Rolle, solange sie keine Expertise aufweisen die dem deutschen Fachkräftemangel entgegenwirkt. Nur als verwertbares Arbeitsmaterial oder als zahlungskräftige Konsument_in ist der Mensch als Markt- und Staatssubjekt von Relevanz, alles sinnlich-konkrete wird danach geformt. Die selbe Logik, die der mittellosen Mutter die AIDS-Medikamente verweigert, während sich der zahlungskräftigere Teil Berlins sein Auto nun auf den Balkon fahren lassen kann, ist es, die Schutz suchende Menschen in eine verwertbare und eine überflüssige Menschenmasse selektiert. In einer Welt in der der stumme Zwang zur Profitmaximierung zum unabänderlichen Schicksal der Menschheit erklärt wird, ist der ökonomische Nutzen eines Menschen für das staatliche Kollektiv die verschwiegene Richtlinie der Flüchtlingspolitik.
Indem jede staatliche Flüchtlingspolitik diesen vermeintlichen Naturzwang zur Voraussetzung hat, muss ihr Handeln sich stets auf Schadensregulierung der weltweiten Verwüstungen durch das Kapital, der Zerstörung ganzer Landstriche, der Überflüssigmachung großer Teile der Weltbevölkerung sowie den kriegerischen Auseinandersetzungen in den Zusammenbruchsregionen beschränken. Dass die sogenannten linken Parteien Die Grünen, SPD und Die Linke selbst hinter den Möglichkeiten des systemimmanenten Handlungsrahmens zurückbleiben, haben sie überall bewiesen wo sie etwas zu entscheiden hatten. So wurden auch unter der rot-roten Regierung in Berlin Abschiebeinstitutionen weiterbetrieben und ausgebaut, die Grünen haben die entscheidenden Stimmen zur letzten Asylgesetzverschärfung abgegeben. Auch unter der neuen Syriza-Regierung in Griechenland wird an dessen Grenzen weiter gemordet.
Eine ernsthafte Kritik an der menschenverachtenden Flüchtlingspolitik ist daher nicht als Appell an staatliche Organe und deren parteipolitische Vertreter, sondern nur in Form einer radikalen Kapitalismus- und Staatskritik zu leisten! Der solidarische Zusammenschluss der Menschheit hat die Abschaffung von Staat und Kapital zur Bedingung!

Organisiert euch,
Unterstützt Flüchtlinge,
Kampf dem menschenverachtenden Staat und seinen Helfer_innen !!

Dieser Text ist entstanden als Reaktion auf die Teilnahme von Parteien bei Veranstaltungen gegen die drohende Asylrechtsverschärfung, und um dort zu einer anarchistische und antistaatliche Perspektive gegen die sich immer weiter zuspitzenden, rassistischen, alltäglichen-Zuständen in der BRD anzuregen. Des weiteren möchten wir auf die Anti-frontex Tage (19-22.Mai) aufmerksam machen und freuen uns, wenn ihr unsere Freund_innen in Warschau unterstützt. Mehr Infos dazu findet ihr hier: https://linksunten.indymedia.org/de/node/141549

Eure Rigaer 94 und Freund_innen