20 Jahre Wohnprojekt – was heißt das eigentlich?

Was heißt es für uns, als Bewohner_innen der Rigaer 94, in einem teilweise besetzten politischen Hausprojekt zu wohnen? Wir wollen selbstbestimmt und gemeinschaftlich leben und dabei unseren Alltag zum Ausgangspunkt für den täglichen Kampf um ein menschenwürdiges Leben machen. Dabei geht es uns nicht nur um unsere eigene Existenz, sondern um eine wirklich freie Gesellschaft. Ein kleines Stück dieser großen Utopie wollen wir hier und jetzt leben, ohne auf bessere Zeiten zu warten. Es ist ein Versuch, der voller Widersprüche steckt und uns auch schon so einiges Kopfzerbrechen bereitet hat. Unsere sozialen Beziehungen und das Gemeinsame der autonomen Subkultur geben uns Kraft, um das oft so unmöglich Erscheinende zu wagen. Doch gleichzeitig schafft die Subkulturalität eine Kluft zu vielen Menschen, deren Ziele den unseren gleichen. Dabei finden wir es doch so wichtig, der staatlichen Strategie der Spaltung herrschaftskritischer Kämpfe etwas entgegenzusetzen und die gewaltförmige Normalität der kapitalistischen Gesellschaft mit Vielen zusammen anzugreifen.

Doch halt, da schwingen wir schon wieder unsere autonomen Reden, dabei geht es hier ja auch um unsere und eure Geschichte. Also: wie begann eigentlich alles?

Ein Rückblick

Vor 20 Jahren nahm die Geschichte dieses Hausprojekts ihren Anfang: die Rigaer Straße 94 wurde besetzt. 1992 wurden Verträge mit der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain abgeschlossen und die mühevolle Instandsetzung des Hauses begann, begleitet von ständigem Ärger mit der Vermieterin. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die Bewohner_innen wohl kaum ausgemalt, dass dies der Beginn eines nun schon 20 Jahre währenden Kampfes um das Haus werden würde.

Acht Jahre nach der Besetzung kam es zur Rückübertragung des Gebäudes an die „Conference of Jewish Claims against Germany“, da die Alteigentümer_innen im Nazi-Regime deportiert und ermordet wurden. Die im Zuge der Rückübertragung eingesetzte Hausverwaltung ließ das Haus über einen Makler zum Verkauf ausschreiben. Parallel dazu begannen die Bemühungen der damaligen Bewohner_innen, das Haus selbst zu kaufen. Den Zuschlag bekam aber im Jahr 2000 letztendlich ein Privateigentümer. Dieser veranlasste erste Polizeieinsätze gegen das Haus und die dazu gehörende Kadterschmiede, den bis heute viel genutzten Veranstaltungsraum des Projektes. Auch die in der Geschichte des Hauses immer wieder einberufenen aber gescheiterten Runden Tische mit Politiker_innen zur Vermittlung zwischen Bewohner_innen und den sogenannten Eigentümern nahmen in dieser Zeit ihren Anfang. Der erste Eigentümer trat vom Kauf zurück und die Bewohner_innen der 94 unterbreiteten ein Kaufangebot. Dieses wurde jedoch übergangen und das Haus wiederum an einen Privateigentümer verkauft: an den berüchtigten Suitbert Beulker, dem bereits mehrere Häuser in dieser Straße gehörten, sowie die daran anschließende Liebigstaße 14.

Das war vor 10 Jahren. In dieser Zeit hat sich ein Verhältnis zwischen Projekt und sogenanntem Eigentümer entwickelt, das als permanenter Kriegszustand beschrieben werden kann. Highlights waren zahlreiche Polizeieinsätze und mehrere Teilräumungen des Projekts, die Einrichtung eines Wachschutzes, welcher Bewohner_innen und Besucher_innen Tag und Nacht auf die Nerven ging und marodierende Bauarbeiter, die auf das Projekt losgelassen wurden. Auf juristischem Weg musste sich das Haus gegen eine Flut von Kündigungen und andere Ärgernisse zur Wehr setzen, die zum großen Teil jedoch vom Gericht abgewiesen wurden. Räumungen gab es aber immer wieder – ob legal oder illegal. Doch die Räume konnten so manches Mal zurückerobert werden. Das Projekt verschaffte sich auf der Straße Gehör durch Demos und vielfältige Aktionen. Stets war es das Anliegen der Bewohner_innen, nicht nur die eigene Situation zu thematisieren, sondern Bezug zu nehmen auf die vielfältigen Kämpfe in der Stadt, in welchen sich gegen Umstrukturierung gewehrt oder den Neonazis die Hölle heiß gemacht wurde oder was sonst gerade so anstand.

Und die nächsten 20 Jahre?

Bis heute kämpfen wir um unseren Platz in einer Stadt, deren Politik sich in den letzten Jahren immer wieder konsequent gegen ihre Bewohner_innen und für das Privateigentum entschieden hat. Doch wir sind nicht alleine in diesem Kampf, und ohne die vielfache Unterstützung, die wir erfahren haben, wären wir wohl schon lange nicht mehr hier. In diesem Sinne wollen wir uns bei allen bedanken die uns nach unserem geliebten Konzept „auf allen Ebenen mit allen Mitteln“ immer wieder unterstützt haben und hoffentlich auch weiterhin zusammen mit uns auf die Straße gehen werden, um die Utopie eines selbstbestimmten Lebens gegen die ewig langweiligen Nein-das-geht-nicht-Sager_innen zu verteidigen.

Es wird wohl nicht einfacher werden, und doch sehen wir gespannt in die Zukunft und hoffen auf das Potential der aktuellen sozialen Konflikte, um mit Kapitalismus, Unterdrückung, Staat und unserem verhassten Hauseigentümer endgültig Schluss zu machen.

WIR BLEIBEN ALLE

Always yours, eure Rigaer 94.