Die Rigaer94 steht in einem Kiez, der ein zwei Straßenzüge entfernt von unserem Haus daran zweifeln lässt, wie wir hier eigentlich leben und kämpfen können. Es sind nur noch ein Paar Schritte über die Straße, zu dieser Welt aus weißem Beton und sanierten Altbaufassaden, an denen blank polierte Volvos vorbei fahren und Bewohner*innen nichts mehr wissen von Instandbesetzungen oder brennenden Straßenzügen. Uns graut es davor bald wie eine Insel in völligem Feindesland zu verharren, wie wir es erleben, wenn wir über den Rosenthaler Platz fahren, um die Brunnenstraße aufzusuchen.

Diese Entwicklung hin zu mehr Isolation radikaler Projekte und Wohnräume und von Kämpfen auf scheinbar verlorenem Terrain der Aufwertung und Homogenisierung einer Nachbarschaft kann uns zermürben, sie kann uns aber auch zusammen bringen.

In den letzten Jahren haben wir immer wieder zusehen müssen wie Hausprojekte oder selbstverwaltete Räume Luxusprojekten oder anderen Spekulant*innenträumen Platz machen mussten. Es wurden zum Beispiel die York 59, die Brunnen 183, die Liebig 14 und die Friedel 54 gewaltsam geräumt.

Die Räumung der Liebig 14 sticht hervor. Sie bleibt bis heute für alle als überraschender Moment massenhafter Militanz im kollektiven Gedächtnis verankert – als Angriff, aus dem ein Maß an Dynamik und Mut hervor gegangen ist, sodass die Ereignisse Jahre nachhallten und viele in den Kampf gegen Aufwertung mitgerissen haben. Es sind jene Begegnungen auf der Straße, die bezeugen, dass Rebellion und Hass, wenn wir beides zusammen tragen und uns kennen lernen, unsere Leben und Kämpfe verändern können.

 

 

Es sind diese Augenblicke autonomer Geschichte zusammen mit den Momenten des Alltags, ob im Gerangel mit den Cops auf dem Dorfplatz, am Biertisch vor der Meuterei, beim Sonntags Brunch in der Friedel oder auf einer Veranstaltung zum Castor in der Brauni, die uns und viele andere Projekte dazu gebracht haben die letzten Monate zusammen zu sitzen und uns gemeinsam gegen Verdrängung und Isolation vorzubereiten.

Anfang des Jahres laufen die Pacht- und Mietverträge von historischen Projekten wie der Liebig 34, Potse und Drugstore aus. Die Meuterei und das Syndikat sollen auch in den darauf folgenden Monaten raus geworfen werden. Ähnliche Szenarien bahnen sich für die Rote Insel, die Brauni und das Tommy-Weißbecker Haus an. Die Friedel ist seit letztem Sommer im Exil. Und die Rigaer 94 wird weiterhin ein Dorn im Auge des Staatsschutzes bleiben und ist als teilbesetztes Haus stets räumungsbedroht. Es sind unterschiedliche formale Gründe, warum die einzelnen Projekte ab Anfang des Jahres geräumt werden könnten. Aber es sind alles Gründe, die einer Logik von Rendite, hipper Aufwertung und der Verdrängung von radikalen Gegenkonzepten und Lebensformen folgen.

In jenen Zeiten der zunehmenden Vereinzelung und der maximalen Profitorientierung durch Mieten und Immobilienspekulation ist es wichtig, dass Projekte wie die aufgezählten, erhalten bleiben. Es ist eine Bedrohungslage für linksradikale Infrastruktur und Schmieden staatsfeindlicher Kampagnen, die es in so einem Ausmaß lange nicht gab. Wir verstehen die Situation als einen Angriff auf unsere Orte und Ideen einer von Staat, Patriarchat, Rassismus und Ausbeutung befreiten Gesellschaft, die das Potenzial hat uns zusammen zu bringen. Sodass wir vielleicht stärker aus dieser Zeit hervor gehen und die Solidarität unter uns als Individuen und unter unseren Projekten eine Perspektive aufzeigt.

 

 

Für diese Aussicht sind für uns, als Rigaer 94, zwei Dinge entscheidend:

Es gibt einen verzwickten Graben zwischen dem Anspruch immer das Große Ganze – also die konsequente Infragestellung des Staates und der gesellschaftlichen Ausprägung – im Auge zu behalten und der Notwendigkeit Räume und Infrastruktur zur Verfügung zu haben – deren Erhalt oft an pragmatische Richtlinien geknüpft ist, die dem Anspruch der umfassenden Radikalität oft nicht gerecht werden. Einfache Beispiele dieser Pfeiler der „Inkonsequenz“ sind Miete, das Erscheinen vor Gericht, das Mitführen des (z.B. deutschen) Passes oder ein Konto bei einer Bank. Wir denken, dass diese Widersprüche nun mal da sind in einer Gesellschaft, deren Spielregeln wir nicht mitbestimmen können und auch nicht unbedingt wollen.

Trotzdem ist es für uns wichtig, dass wir im Zusammenkommen der nächsten Wochen immer wieder darüber diskutieren und Aktionen dazu nutzen weiter zu greifen, als nach einem neuen Mietvertrag oder einem zeitlichen Aufschub. Wir wollen an den Kämpfen wachsen und versuchen einige dieser Widersprüche aufzubrechen.

Das heißt konkret, dass Enteignung, Besetzungen und die Selbstverwaltung der Räume für uns im Vordergrund der Auseinandersetzungen stehen sollten. Auch wenn wir wissen, dass Ideen und Praxis nicht so leicht eins zu setzen sind.

Der zweite für uns entscheidende Punkt ist die bekannte und historische Frage nach der Legitimität von Gewalt. Hier im speziellen die Frage nach der Bereitschaft, gemeinsam auf einen wüsten Januar hin zu arbeiten. Es geht uns darum, wie wir solidarische Menschen motivieren mit uns zusammen anzugreifen und auf den kommenden Demos und Aktionen unsere Ideen der Zerstörung dieser Form der Gesellschaft, seiner Bullen und Beamt*innen voran zu stellen.

Wir sind überzeugt, dass der einzige Druck, der all den Projekten zur Seite steht (während sie in Verhandlungen stecken und erst Recht wenn sie Verhandlungen ablehnen) nur der Druck sein kann, den wir bereit sind auf der Straße zum Ausdruck zu bringen.

Wir stimmen „einigen Aktivist*innen aus Kreuzberg 36“ zu: „Wir wünschen uns eine Initiative, die davon ausgeht, dass ein breiter Widerstand auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Formen notwendig und wünschenswert ist, und die nicht gleich bei ein paar kaputten Fensterscheiben im neuesten Luxus-Restaurant in entsetztes Jaulen und hektische Distanzierungen ausbricht“. Der Zusammenschluss bedrohter Projekte geht für uns damit einher, sich von keiner Form von solidarischen Aktionen zu distanzieren.

Wir schlagen vor, dazu aufzurufen eine Eskalation im Sinne der Liebig 14-Räumung und der Kadterschmieden-Räumung im Sommer 2016 anzustreben. (Auch die Liebig 14 hat bis zuletzt in Verhandlungen gesteckt, aber stets zu Aktionen in einem breiten Spektrum aufgerufen, so dass die Demo jenen Charakter annehmen konnte).

 

 

Für uns ist es als Ort autonomer Organisierung völlig klar in den Tagen der Interkiezionale oder auf den Kiezversammlungen keinen Raum Politiker*innen zu lassen. Wenn Projekte verhandeln und sich mit Bezirksverordneten treffen ist das immer ein Moment, das zu diskutieren und die Hoffnungen zur Disposition zu stellen, die damit verbunden sind. Jetzt ist die Zeit das gemeinsam zu tun.

 

Für ein chaotisches Miteinander und einen kämpferischen Winter!

Solidarität ist unsere stärkste Waffe!

Rigaer94