Alle von uns dürften in den letzten Monaten verfolgt haben, was nicht weit von hier in Frankreich abging. Vor allem zu Anfang war viel Skepsis im Spiel angesichts des populären Kampfes der Massen, die das gesamte Land zeitweise lahm legten und sich Samstag für Samstag dazu verabredeten, die großen Städten aufzusuchen. Der wirtschaftliche Schaden, die Plünderungen und Zerstörungen in den Zentren der Macht, die direkten Angriffe auf die staatlichen Institutionen, die Positionierung gegen die vielfach erlebte staatliche Gewalt und die Verweigerung einer Repräsentation machten die Bewegung der Gelben Westen über die anfänglichen Zweifel Vieler erhaben. Ohne Frage ist die Bewegung nicht frei von Widersprüchen, die Instrumente der Spaltung und sozialen Kontrolle als Angriffe des Staates auf die Gesellschaft sind präsent.

In vielen Texten wurde schon erwähnt, dass das Verhältnis von Stadt- und Landleben ein wichtiger Faktor für die Bewegung der Gelbwesten ist. Ein bedeutender Teil der Mobilisierung, auch wenn dies in den deutschen Medien keine Erwähnung findet, kommt aus den ländlichen Gebieten und kleinen, provinziellen Städten. Die Blockaden an dortigen Verkehrsknotenpunkten haben nicht nur wirtschaftlichen Schaden verursacht, sondern auch einen wesentlichen Moment der Organisierung und der sozialen Sprengkraft ausgemacht. Die Beteiligung der ländlichen Bevölkerung hat den Protesten ein größeres Ausmaß gegeben und die Rolle der Großstädte als Orte des Angriffs gegen die Zentren und Symbole der Macht verstärkt. Die Verachtung für diese, auch wenn sie teilweise diffus sein mag, ist eine positive Eigenschaft. Sie bricht aus der Passivität aus und bezieht Position im sozialen Krieg. Sie deckt sich mit unserer Sicht auf die Gesellschaft und die Stadt. Wie gerne würden wir es hier sehen, wenn tausende von Menschen das Brandenburger Tor beschmutzen würden und die Friedrichstraße in Schutt und Asche legten.

Mit unserem kleinen rebellischen Projekt im Friedrichshainer Nordkiez versuchen wir, jeden Tag, ein Stachel im Herzen der Bestie zu sein. Wir lehnen dieses Gebilde aus Politik, Kapital und Dienstleistungen ab, welches die Stadt verkörpert. Sollte es in anderen Bezirken, kleinen Städten, Dörfern und ländlichen Regionen Verachtung oder Hass auf diese Hauptstadt geben, dann laden wir Alle ein, dies hier zum Beispiel an einem Tag wie dem diesjährigen 1.Mai gemeinsam zu artikulieren.

2019 kann ein Jahr der Entscheidungen werden. So können wir am Ende des Jahres mit abgerissenen oder luxussanierten Häusern, dreihundertfach erhöhten Mieten oder verschärften Bullengesetzen in erschöpfte Gesichter blicken oder aber auf ein kämpferisches Jahr zurückblicken, in dem unsere Hände so manchen Stein aufgehoben und unsere Herzen so manche neue Kompliz*innenschaft geschlossen haben. Selbst wenn wir Kiezkultur und rebellisches Projekt neu aufbauen, uns vor Gericht und Knast für unsere Gedanken und Taten verantworten oder uns an den Rändern der Städte wiederfinden müssen. Vielleicht aber, sitzen wir auch gemeinsam auf der Straße vor den Straßenzügen besetzter, durch uns selbst enteignete und in Selbstverwaltung übergebene Häuser, aus denen wir Staat und Kapital vertrieben haben. Streiten, lernen uns kennen, lachen.

Sicher ist der 1.Mai auch nur einer neben 364 anderen Tagen. Für Viele, und auch für uns, gilt er als verklärtes, von Erwartungen durchzogenes Datum, als ein entpolitisiertes Spektakel für die Medien anstatt einer kraftvollen Demonstration im Kontext stattfindender Kämpfe. Also wieso an diesem Datum festhalten? In der Tat, schliessen wir uns der radikalen Linke | Berlin an, die schreibt: „Der 1. Mai ist in diesem Prozess nicht mehr als ein Tag. Die Entscheidung, ob wir siegen oder unterliegen, fällt an jedem einzelnen Tag im Jahr. Schaffen wir es, uns zu organisieren? Begeistern wir unsere Nachbar*innen und Kolleg*innen, Freund*innen und Familien vom Kampf um ein besseres Leben? Sind wir konsequent und ernsthaft genug in dem, was wir tun? All diese Fragen beantworten wir nicht mit einer symbolischen Demonstration.“ Nehmen wir den 1. Mai als einen Tag wie jeden Anderen auch, an dem wir die Möglichkeit nutzen und finden, abseits der vielen täglichen und nächtlichen Taten, gemeinsam auf der Straße zu sein. Als einen nicht alleinstehenden Teil im Puzzle des kontinuierlichen Widerstandes gegen die Stadt der Reichen. Nur vor einigen Tagen protestierten zehntausende Menschen in mehreren Städten gegen den Mietenwahnsinn. Anfang März gingen mehrere tausend Menschen in Berlin auf die Straße, um ihre Wut auf die Verdrängung linker Freiräume zu artikulieren.

Doch, allein das Trotten neben einem Lautsprecherwagen wird uns nicht weiterbringen. Das Wohnungsproblem kennt in den Metropolen keine Grenzen mehr, kein Kiez oder Bezirk ist davon geschont geblieben. Es ist allen klar geworden, dass es kein vereinzeltes Problem ist, es betrifft alle, es ist nur eine Frage der Zeit. Wo uns die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich dabei inspirieren kann, ist ihr Bewusstsein eines Konfliktes mit Staat und Kapital, dem nicht friedlich und passiv begegnet werden kann.

Kommt am 1. Mai in den Berliner Stadtteil Friedrichshain.

Verbinden wir unsere Kämpfe gegen die Stadt der Reichen!

Rigaer94