In Berlin ist der Ausnahmezustand nicht offiziell verkündet worden und im Vergleich mit Städten wie Madrid oder Paris wirken die Maßnahmen der Infektionsschutzverordnungen hier fasst gewöhnungsfähig. Dank einer im europäischen Vergleich etwas weniger kaputt gesparten Gesundheitsversorgung, noch immer vorhandenen Möglichkeiten mit staatlichen Transferleistungen zu überleben und eiligst angekündigten Geldspritzen für die Wirtschaft, konnte Deutschland bislang die ganz große Panik vermeiden; dass nur aufgrund der Fähigkeit, anderen Ländern die Finanz- und Sozialpolitik zu diktieren.
Endlich ist der ganze Party- und Tourirotz verschwunden, Grünflächen werden zunehmend von Menschen genutzt, die sich nicht um das Verbot sozialer Kontakte kümmern. Allerdings gehen auch viele mit den Einschränkungen sogenannter Grundrechte konform und wünschen sich mehr Überwachung und Kontrolle. Die Schweine paradieren an allen Orten wo sich „Unvernünftige“ zusammenfinden könnten, Sicherheitsdienste erleben einen Boom, wer sich eine Spionage App aufs Smartphone lädt, soll mit etwas mehr Bewegungsfreiheit belohnt werden …

Und das Bündnis der Revolutionären 1. Mai Demo denkt über Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten einer Mobilisierung nach. Tod und Krankheit sind das Wesen der kapitalistischen Gesellschaft, ihrer Ordnung und ihrer Werte.
Wir sind die Privilegierten, die etwas zu verlieren haben. Eine beliebige Summe Geld, wenn wir illegal demonstrieren. Für die meisten das behagliche Gefühl, schon lange keinen Knüppel mehr in die Fresse bekommen zu haben, keine Pfefferdusche, schon lange nicht mehr wegen einer Demo im Polizeigewahrsam gewesen zu sein.

Die, für die wir vorgeben zu kämpfen, nein, sogar mit ihnen zu kämpfen, haben nichts zu verlieren. Die Deklassierten, Obdachlosen, Gefangenen, sie scheißen auf ihre Mieten, die sie eh nicht zahlen für ihre nicht vorhanden Wohnungen. Diejenigen, die den Kriegen entkommen sind, der Armut, Naturkatastrophen, patriarchaler oder religiöser Unterdrückung, würden sich vielleicht gerne von Berliner Bullen schlagen lassen, wenn sie dafür in dieser Stadt bleiben könnten, die wir hassen.

Der Kampf für eine solidarische Gesellschaft und ein selbstbestimmtes Leben, ist nicht ohne Risiko. Wie auch der Krieg auf den Straßen, die Arbeit und andere Gewaltverhältnisse, uns keine Sicherheit anbieten können, selbst wenn wir gehorsam wären.

In der Presse und in der Schicht der systemrelevanten Untertanen waren wir niemals etwas anderes als der Abschaum, ob am 1. Mai 1987 oder bei jeder anderen Straßenschlacht davor und danach, immer schallt der Ruf nach dem Ermitteln und schnellen Verurteilen der Straftäter*innen. Eine absolut friedliche Demonstration soll in diesem Jahr genauso entschlossen zerschlagen werden, wie in vergangenen Jahren der krawallbereite Block. Der Bürgermeister von Ozeanien, ein Mann namens Müller, und sein Innensenator Geisel, werden nichts anbrennen lassen. So wie sich in Orwells 1984 Eurasien und Ostasien als Hauptfeind abwechseln, sind es in Berlin wahlweise Islamisten, Clans, die Rigaer Straße oder jetzt eben eine Pandemie. Auch die Bedeutung der Begriffe und Objekte wechselt der Große Bruder nach Belieben; eine Maske vor der Nase kann verdächtig und strafbar sein, wird aber auch schon als Pflicht für die Teilnahme am Einkauf oder in Verkehrsmitteln diskutiert.
Die radikale Linke und die Anarchist*innen sollten diesen falschen Rahmen ihrer Praxis ablegen und das eigene Risiko in Kauf nehmen, die eine Veränderung der sozialen Beziehungen uns abverlangt. Der Kapitalismus kalkuliert Krisen als Modernisierungsschub seiner Herrschaft und seiner Profite ein. Damit verbundene Fliehkräfte und Spannungen in der Gesellschaft, den Frust der Ohnmächtigen und Aussortierten, wollen wir verstärken und verbreiten.

Demokratische Fassaden bröckeln, wenn Hundertschaften tagelang bestimmte Kieze belagern. Wenn sie Menschenansammlungen zerschlagen und für Friedhofsruhe sorgen. Solche Bilder können wir entstehen lassen am 1. Mai, als Beweis an die Unterschichten, dass Widerstand möglich ist. Als Signal an die Migrant*innen in den Lagern der Frontex-Staaten, weiter gegen die Grenzen anzurennen, hinter denen sie nicht nur Ablehnung vorfinden werden. Als Vorschlag an Gering- oder Nichtverdienende, Mieten zu verweigern und Wohnungen zu besetzen, um die erwartete Räumungswelle nach Corona zu einem Fiasko für den Senat zu machen. Wer Millionen erpresster Steuereinnahmen in Flughafenbaustellen und barocken Stadtschlössern versenkt, soll ein bisschen Chaos in Berlin erwarten dürfen.

Was haben wir zu verlieren, bei einem Staat, dessen „Einzeltäter“ in den rechten Netzwerken von Polizei und Bundeswehr, fleißig Waffen sammeln und Todeslisten schreiben? Wer jetzt auf günstigere Zeiten warten will, um Widerstand auf die Straße zu tragen, wird immer nur Zuschauer*in bleiben.

Wir schlagen vor, am 1. Mai in Berlin uns an öffentlichen Orten zu versammeln und tatsächlich einen Bereich temporär zu besetzen, um zu checken was wir überhaupt anzubieten haben. Sollte das vom Virus der Autorität verhindert werden, kann der Mai leicht zu einem Monat der dezentralen Aktionen werden.