Hier der Text einer Rede, die gestern Abend um 19 Uhr bei der recht spontanten unangemeldeten Kundgebung vor der Rigaer94 gehalten wurde. Die Stimmung war außerordentlich gut, solidarisch und kämpferisch. Der Bereich vor dem Haus war mit um die 100 Leuten gut gefüllt. Zum Ende der Kundgebung wurden auch noch die diversen Soligrüße und Aktionserklärungen der letzten Tage vorgelesen – begleitet vom Jubel der Menschen auf der Straße und auf den Balkönen. Bitteschön:

Hallo liebe Freunde und Freund*innen,
sehr geehrtes Publikum!

Hiermit melden wir uns aus der Rigaer94, welche dieser Tage mal wieder zu einer Festung geworden ist. Zunächst mal zu einer Festung, die den Rammen der Berliner Polizei und den Vorschlaghämmern von wild gewordenen Bauarbeitern mit Verbindungen zu den Hells Angels standhalten muss. Eine Festung aber auch der Ideen von Freiheit, Selbstbestimmung und Solidarität, zusammengehalten vom Willen, die Waffen nicht vor der Immobilienmafia und ihrem Staat zu strecken.

Wir freuen uns, nach 30 Jahren der Rigaer94, welche von einer ganz anderen Generation begonnen wurden, auch heute noch hier zu stehen und mit euch in Verbindung zu treten. Viele von uns haben schon 2016 eine dreiwöchige Belagerung von Bullen, Bauarbeitern und Securities durchgestanden, haben unzählige Hausdurchsuchungen und Konfrontationen mit der Staatsmacht bestritten. Einige von uns sind neu hier und sehen sich das erste Mal in einer derartigen Situation, wo es darum geht einen Lebensraum und gleichzeitig einen wichtigen sozialen, politischen Raum zu verteidigen. Wir sind uns alle der permanenten Gefahr bewusst, derartigen Angriffen ausgesetzt zu sein. Regelmäßig erreichen uns Drohungen von Nazis, fanatischen Innenpoltiker*innen und Bullen. Doch ehrlich gesagt haben wir nicht damit gerechnet, dass der nächste Versuch, uns aus der Welt zu schaffen wieder so abläuft wie 2016. Dass die Bullen eine Räumung versuchen, indem sie einen Eigentümer des Hauses erfinden, den sie vorschicken, um sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen. Natürlich ist diese Methode durchschaubar und sie ist keinesfalls eine Seltenheit in dieser Stadt. Doch wen interessiert’s? Wen interessiert, dass am Donnerstag Morgen eine fingierte Hausdurchsuchung der Bullen stattfand, an deren Ermittlungsakte nicht einmal die Bullen selbst glauben? Wen stört es, dass der eigentliche Zweck dieser Hausdurchsuchung war, dass im Schlepptau der gepanzerten Rioteinheiten eine angebliche Hausverwaltung mit Vorschlaghämmern und Brecheisen eine Schneiße der Verwüstung schlagen kann? Wen kümmert es, dass mehrere Leute aus ihren langjährigen Wohnungen geschmissen wurden, um dort eine Zentrale für eine Sicherheitsfirma einzurichten, deren einziger Zweck die Einschüchterung der Bewohner*innen darstellt.

Die Presse jedenfalls nicht. Sie hat im Vorfeld dieser Polizeiaktion eine neuerliche Hetzkampagne lanciert. Der RBB versucht seitdem mit aller Kraft das Bild einer Nachbarschaft zu zeichnen, die von der Rigaer94 und der Liebig34 terrorisiert wird. Das Bambiland, in dem sich im Schutze der zeitweiße omnipräsenten Polizeimacht die achso liberale Bürgerliche Elite für hunderttausende von Euros eingekauft hat, wird beispielhaft als Opfer dargestellt, so als ob es nicht von belang wäre, dass diese eine Sonderstellung im Kiez haben. Es wird fabuliert, dass wahllos Anwohner*innen angegriffen werden, im vollen Bewusstsein darüber, dass hier besonders in den letzten Monaten mit Corona eine sehr solidarische, freundliche Stimmung in der Nachbarschaft vorgeherrscht hat. Der Angriff der Polizei und Bauarbeiter*innen auf die Rigaer94 wird in der bürgerlichen Berichterstattung bisher maßlos heruntergespielt, um einem breiten Aufschrei entgegenzuwirken. Wir haben Videos vom Freitag, den zweiten Tag dieses Polizeieinsatzes, veröffentlicht, in dem zu sehen ist, wie hochaggressive Bauarbeiter versuchen, in belegte Wohnungen per Vorschlaghammer einzudringen. Dahinter waren Menschen, die sich mit allem Möglichen verteidigen mussten, weil es zu einem Massaker gekommen wäre, wenn die Verbarrikadierungen nicht gehalten hätten. Die Bullen, die angeblich nichts damit zu tun haben, sieht man wenige Meter entfernt zugucken. Welches Kino in ihren Köpfen in diesem Moment ablief, können wir uns alle sehr gut vorstellen.

Dieselben Bauarbeiter sind, nachdem sie an der begehrten Tür gescheiter waren, in den Dachboden vorgedrungen und haben dort von oben ein Loch in die Decke in den vermieteten vierten Stock auf der rechten Hausseite geschlagen und dann mit Flaschen auf den Bewohner geworfen, der allein in seiner Wohnung war. Ihre Brutalität hielt nur ein, weil es den genüsslich daneben stehenden Bullen ein wenig sorgen bereitete, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Diese Situation war toternst und wir können als Nachbarschaft die Anwesenheit dieser bewaffneten und von Bullen eskortierten Sturmkommandos um keinen Preis mehr hinnehmen.

Dank der juristischen Tricks unserer Anwälte konnten wir über den Freitag die Lage zu unseren gunsten Wenden. Sie haben mal wieder das Gesetz, welches gegen uns gemacht wurde, zu unserem taktischen Vorteil genutzt. Dass wir nicht mit hunderten oder tausenden von Leuten die Besatzungsmacht eigenhändig aus dem Kiez jagen, schmerzt uns immerwieder – das zeigt unsere eigentliche Schwäche. Das genaue juristische Hin- und Her ist uns zu anstrengend, um es hier widerzugeben. Kurz gesagt ist es aber laut bürgerlichem Recht vorgesehen, dass eine bewohnte Wohnung nicht ohne Räumungstitel geräumt werden kann. Da gut sichtbar alle Wohnungen in der Rigaer94 voll sind, kann es an diesem Umstand keinen Zweifel geben. Die Strategie des Räumungseinsatzes, durch die angebliche Hausverwaltung Wohnungen zu besetzen um von da aus im Haus zu agieren, ist dadurch gescheitert. Die Bullen, die ja angeblich nur da waren, um die Hausverwaltung zu beschützen, hatten sich damit selbst die Austrittskarte ausgestellt.

So verließen Bauarbeiter, Securities und Bullen am Freitagabend unser Haus und wir konnten mit Reparaturen sowie Überlegungen zum weiteren Vorgehen anfangen. Die Demonstration von vielen hundert Leuten gab uns Mut und unserem Kampf ordentlich Rückenwind. In einem gut organisierten Coup haben wir dann am Sonntag Nachmittag innerhalb von anderthalb Stunden, quasi unter den Augen der Handlungsunfähigen Bullen, die am ersten Tag geklaute Tür durch eine massive Neue ersetzt. Damit haben wir den Status von vor der Räumung wiederhergestellt. Die Rigaer94 hat durch die brillianten Fähigkeiten einiger Handwerker*innen unserer rebellischen Strukturen wieder die volle Kontrolle übers Haus und Sicherheit für die Bewohner*innen hergestellt. An dieser Stelle wollen wir einen dicken Applaus für diese Handwerker*innen veranstalten!

Natürlich war klar, dass mit der neuen Tür nicht auch zwangsläufig der Einsatz abgebrochen wäre. Wir spekulierten, dass die Schläger-Handwerker am heutigen Morgen wieder kommen würden und haben uns auf die verteidigung vorbereitet. Das hat sich bewährt. Unsere Schutzschicht wurde um 8 Uhr vom verrückt gewordenen möchtegern-hausverwalter und vom gerichtlich als nicht zuständig bezeichneten Anwalt angegriffen. Einige Leute haben die beiden daraufhin verjagt, wobei sie leicht verletzt wurden. Die Bullen, die schon zuvor ihre Kreise immer enger um den Kiez zogen, waren dann sofort zur Stelle, genauso wie die Bauarbeiter. Sie wurden mit einem Feuerlöscherstoß gewarnt, die Finger vom Haus zu lassen. Bisher hat diese Warnung funktioniert, weswegen wir jetzt zwar müde vom frühen aufstehen, doch quietschlebendig hier stehen können. Ohne eingeschlagene Köpfe und ohne Festnahmen. Das freut uns!

Doch mal sehen, wie das ganze weitergeht. Unsere Einschätzung zur ganzen Aktion ist, dass der Einsatz mal wieder von Bullen geplant war – so wie 2016 – wir sind uns sicher! denn wir kennen die Wedekindwache. Sie haben mit der Hausverwaltung einen Plan entwickelt, wie man die Rigaer94 ausschalten kann, denn das ist seit Jahren ihr erklärtes Ziel. Derartige Einsätze haben schon fast Tradition hier – schon Anfang der 2000er gab es soetwas. Was wir nicht wissen, das ist, wieso der Innensenator sagt, er glaubt der Hausverwaltung nicht, dass sie Eigentümerin ist, die Bullen jetzt aber öffentlich sagen, sie glauben der Hausverwaltung. Der Innensenator ist im Urlaub und sagt einfach nichts dazu – wir denken er hat schon ein bisschen bedenken, dass er wie sein Vorgänger Henkel endet, den seine Feindschaft zu unserem rebellischen Kiez die politische Karriere gekostet hat.

A propos Frank Henkel: der ähnlich gelagerte einsatz von 2016  hatte ein juristisches Nachspiel. Wie immer dauert das ganze schon eine ewigkeit. In der ersten Instanz haben unsere Anwälte keinen Erfolg gehabt, mit der Begründung, dass das Gericht sich nicht mit einem Fall beschäftigen will, bei dem keine Widerholungsgefahr vorliegt. Wir finden das irgendwie witzig, dass wir jetzt, genau vier Jahre später genau das haben. Wir denken, dass auch der Innensenator Geisel seinem Vorgänger folgen könnte, wenn er sich nicht rasch umentscheidet. 2016 haben wir als Reaktion auf die Invasion und 3-Wöchige Belagerung dazu aufgerufen, Berlin ins Chaos zu stürzen. Es war in rebellischen Zusammenhängen klar, dass eine Räumung nicht mit legalen Mitteln aufzuhalten sein würde, weswegen Symbole der Stadt der Reichen in einer 3-Wöchigen militanten Kampagne angegriffen wurden. Als Höhepunkt demonstrierten 5.000 Menschen und lieferten sich Auseinandersetzungen mit den Belagerungseinheiten. Der Druck von der Straße entfaltete eine beträchtliche Wirkung, weswegen wir auch heute wieder geneigt sind, das sogenannte TagX-Konzept auszurufen. Doch ganz soweit ist es noch nicht – wir haben es bisher geschafft, eine Belagerung des Hauses und Räumungen von Wohnungen zu verhindern. Wenn es jedoch weitergehen sollte und wir nicht nur unsere Wohungen, unseren Jugendclub und die Kadterschmiede, sondern auch unser Leben durch Schlägertrupps in Gefahr sehen, werden wir einen Vorschlag machen: Die Rigaer94 verteidigen – mit allen zur verfügung stehenden Mitteln!

Das ist ein Aufruf an euch alle, heute, morgen und jeden Tag die Ideen von Solidarität und Freiheit in Taten umzusetzen.
Dies ist aber auch ein Aufruf gemeinsam gegen alle Angriffe die unsere Projekte betreffen zu verteidigen – Liebig34, Syndikat, Meuterei, Potse – sie alle sollen der Stadt der Reichen weichen, was wir zusammen verhindern müssen um hier weiter zu leben, aber auch um gemeinsam weiter gegen Staat & Kapital kämpfen zu können. Wir schliessen uns damit den Worten für die bundesweite Demo am 1. August an: Raus aus der Defensive! Finger weg von unseren Projekten, Finger weg von unseren Wohnungen!

Und als PS:

Wir freuen uns natürlich auch, dass es bereits zu Aktionen kam, die unserer Position mehr stärke verleihen, weil sie die Verantwortlichen für diese ganze Scheiß Stadt- und Ordnungspolitik heimsuchen. So hat es vergangene Nacht beim Büro von tom Schreiber geknallt. Dieser SPD-Fuzzi profiliert sich seit Jahren damit, uns zu beleidigen, zu drohen und mit Bullen zu konspirieren. Sein Büro wurde heute Nacht mit Scheiße, Schweineblut und Buttersäure besudelt. In großen Lettern steht dort jetzt das Wort “Bullenknecht”, was er zweifelsohne ist.