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3 Jan 2021
2020 – zahlreiche Hausdurchsuchungen u.a. in Frankfurt, Hamburg, Leipzig und Baden Württemberg, sind Anhaltspunkte dafür, dass die Repression im gesamten Bundesgebiet anzieht. Mit dem Generalbundesanwalt als zentralem Protagonisten hat der deutsche Staat die Inszenierung einer Hexenjagd begonnen. Unter Verwendung des gesamten Arsenals des Gesetzbuches arbeiten BKA, LKAs und Verfassungsschutz zusammen, um Vorwürfe der Bildung einer kriminellen (§129) und gar einer terroristischen Vereinigung im In- oder Ausland (§129a/b) wie Coronaschnelltests verteilen zu können.
Die
dabei zu Tage tretende Kooperation mehrerer Staaten gibt es schon lange
und überrascht an dieser Stelle nicht. Der §129 sowie dessen
internationale Pendants sind zu wichtigen und mächtigen Waffen
repressiver Operationen geworden. Sie dienen zum einen dazu, dem
staatlichen Zugriff auf private Räume und Sphären einen “legalen” Rahmen
zu geben. Zum anderen sollen sie als strategisches Mittel Individuen
der antagonistischen Bewegung angreifen, um sie von weiterer Vernetzung
mit globalen autonomen Strukturen abzuhalten.
Zur Zeit sind
unsin Deutschland – die §129a und §129 betreffend – Fälle in Frankfurt,
Hamburg und Berlin bekannt. Dazu kommt der neueste Einsatz des §129 in
Leipzig, wo die Festnahme und Verschleppung einer beschuldigten und
mittlerweile in U-Haft befindlichen Person wie in einem
Hollywoodstreifen inszeniert wurde. Zum Zwecke der Machtdemonstration
führte die Polizei sie per Hubschrauber dem Haftrichter vor. Durch
diesen propagandistischen Einsatz wurde die Mainstream-Presse gezielt
mit reißerischen Bildern und Headlines versorgt, die sich allesamt
darauf fokussieren, dass die Beschuldigte eine Frau ist. Die
Inszenierung des Spektakels erinnert an die des Amokläufers von Halle.
Dieser wurde, kurz nachdem er zwei Menschen getötet hatte, mit dem
gleichen Medienrummel auf genau dem gleichen Transportweg verbracht.
Mittels dieser Inszenierung bedient sich der deutsche Staat erneut der
Hufeisentheorie und versucht die zwei komplett unterschiedlichen Fälle
gleichzusetzen, letztendlich also Schläge für einen Nazi mit dem
antisemitisch-motivierten Amoklauf mit zwei Toten. Das Narrativ zweier
Extreme ist bewusste und gängige Strategie. Die darin enthaltene
Botschaft eines Staates und seiner Bullen, die einerseits die einzige
Gefahr für ihre Macht von links kommen sehen und andererseits bei jeder
sich bietenden Möglichkeit von zwei sich annähernden Extremen sprechen,
ist klar: Das Dogma von Law and Order soll versichern, dass der Staat
allein das Monopol auf Gewaltausübung inne zu haben hat.
Der neue Fall eines §129 in Berlin
Am
16. September 2020 razzten das BKA und das Berliner LKA5 fünf Wohnungen
in Berlin sowie die anarchistische Bibliothek Kalabal!k. Hinzu kommt,
dass dem BKA die Demonstration ihrer internationalen Zusammenarbeit mit
den griechischen Antiterror-Bullen gelang, indem sie zusammen zwei
weitere Wohnungen in Athen hochnahmen. Bei den Durchsuchungen ging es
u.a. darum, zusätzliche Erkenntnisse zu erlangen. Dass der Staat sich
hier für Massenprozesse, Überfälle und vorübergehende Verschleppungen
entscheidet, ist kein Zufall. Er ist sich in dieser währenden Periode
der zunehmenden Angriffe von Oben auf die Gesellschaft bewusst. Und,
dass diese zu einer sozialen Widerstandskraft und zu Erhebungen führen
können, wie derzeit Ereignisse in anderen Teilen der Erde belegen. Ganze
Gesellschaftsgruppen sehen sich mit Mietsteigerungen, Räumungen,
Polizeigewalt, Rassismus, dem patriarchalen Rollback und generell
Repression, weiterer Marginalisierung und sozialem Ausschluss
konfrontiert. Es sind diese Bedingungen, die – manchmal – zur
Radikalisierung und der Intensivierung des Kampfes gegen das barbarische
System und für eine befreite Gesellschaft führen. Personengruppen
wählen die Konfrontation, Individuen und Versammlungen steigern ihre
Aktivitäten und aus Szene wird Bewegung.
Diese Momente sind es,
denen der Staat vorbeugen will und so erklärt er jedem Widerstand den
Krieg. Die Razzien in Berlin fanden nicht zufällig einen Monat vor der
Räumung der Liebig34 statt. Der Staat hat, in Voraussicht sich
anbahnenden Widerstands, diesen Moment gewählt um zu zeigen, dass er
stark ist, dass seine Repression allgegenwärtig ist und wie verletzlich
wir sind. Durch die Verwendung des Strukturermittlungsparagraphen 129,
der schon aus einem simplen Anruf oder einem zufälligen Treffen einen
Beweis für die Mitgliedschaft in einer erfundenen Gruppe macht, wird auf
die Verbreitung von Angst und die Verhinderung weiterer Radikalisierung
und Aktivierung gezielt.
Wie immer geht es um die Anwendung
einer auf tiefen Einsichten beruhenden präventiven Strategie.
Erkenntnisgewinnung über Menschen und ihre Beziehungen untereinander,
das Ermitteln, Konstruieren und Heraufbeschwören von Strukturen
unabhängig von ihrer tatsächlichen Existenz zielt auf die Isolierung und
die Einschüchterung der gesamten Bewegung. Durch die Stigmatisierung
Einzelner wird sich ein Effekt für die Übrigen erhofft. Der Staat ist
sich der Kontinuität des Kampfes und der damit einhergehenden
gegenseitigen Überlieferung von Erfahrungen, genauso wie der tatsächlich
innerhalb rebellischer Strukturen erreichten Kompromisslosigkeit und
politischen Konsequenz bewusst und versucht das Gegenteil zu beweisen:
dass die politische Aktivität des Individuums ein Auslaufdatum hat. Dazu
verschärft er einerseits die Gangart gegen gefestigte Teile der
Strukturen und greift andererseits präventiv die neueren, oft jüngeren
Strukturen an, um die Regeneration des Kampfes zu unterbrechen.
Im
Fall der kürzlich offenbarten Ermittlungen unter dem Schirm des §129
gegen in Berlin und Athen seit langem verankerte Menschen zielt der
Staat auf eine große Bandbreite unterschiedlicher Ausprägungen eines
gemeinsamen Kampfes. Unter anderem, dabei aber nur vordergründig, geht
es um die G20-Riots (im Berliner Fall um die Anschuldigung, die
Elbchaussee-Zerstörung organisiert zu haben), einem Moment des
kollektiven Widerstands gegen den Staat und das Kapital, den die
Herrschenden nicht vergeben und vergessen werden. Eigentlich geht es
jedoch darum, die Globalisierung des Kampfes zu hemmen, insbesondere die
Verknüpfung verschiedener lokaler Kämpfe untereinander. Was neben
unzähligen anderen Menschen auch die jetzt betroffenen Personen
betrifft, hatte das LKA über Jahre seine Fälle vorzugsweise um die
Rigaer Straße herum konstruiert und war daran gescheitert, einen
herbeigeredeten Kern zu eliminieren. Das BKA baut nun auf diesen
Ermittlungen auf, greift die selben rebellischen Strukturen aber mit
einer anderen Strategie an. Hinter den Ermittlungen sehen wir den
Versuch, die durch das LKA praktizierte Anerkennung ineinandergreifender
Kämpfe in dieser Stadt zu beenden. Menschen, die Jahre währende
Verfahren wegen Bagatellen wie einer Fahrraddemo ertragen mussten, nur
weil diese im Kontext Rigaer stand, werden jetzt durch das BKA
belästigt, welches in seinen 129er-Ermittlungen schwerstens darum bemüht
ist, den Kontext zu verschleiern, in dem genau diese Menschen handeln
und in der diese Aktionen stattfanden und -finden.
Teil jener
staatlicher Bemühungen die politische Konsistenz seiner Gegner zu
negieren – und darin wird die Widersprüchlichkeit im Staate sichtbar –
ist die Entpolitisierung der Beschuldigungen. Einerseits existiert eine
Rhetorik der politisch motivierten Kriminalität, andererseits die
Behauptung nicht vorhandener politischer Motive. Menschen werden
angeklagt, aus politischer Ideologie heraus Angriffe auf die Demokratie
zu organisieren. Gleichzeitig jedoch ist die einzige mögliche Antwort
die des Gesetzbuches. So wird das politische Motiv vom Staat gerne dazu
genutzt, größere Tribunale zu veranstalten und härter Strafen zu
verhängen, darüber hinaus jedoch kann von seinen Institutionen deren
eigentliche Bedeutung nur geleugnet werden, um nicht ihre gesamte
Existenz in Frage stellen zu müssen.
Die Konstruktion imaginärer
Gruppen dient der Intensivierung der Verfolgung. Während einerseits der
Kampf individualisiert wird, wie wir es z.B. bei der Erfindung nicht
existierender Anführer der Rigaer94 sehen, wird gleichzeitig nicht
gezögert, eine Kollektivschuld im Rahmen von Gruppen herzustellen, die
von Grund auf nur zu Zwecken der Verfolgung erfunden werden. Indem von
radikalen Einzelpersonen geredet wird, die nichts als die
„Radikalisierung der guten Teile der Bewegung“ im Schilde führen,
versuchen der Staat und seine Polizeien die Spaltung. Es handelt sich
dabei um eine altbekannte Strategie, wahlweise zur Trennung in gute
Demonstrant*innen, die eine Versammlung anmelden, und böse
Demonstrant*innen, die sich für die Nicht- Anmeldung entscheiden; oder
in gute Hausbesetzer*innen, die ihr Projekt legalisieren wollen und böse
Hausbesetzer*innen, die sich für die illegale Verteidigung entscheiden.
Auch die Extremismustheorie kommt in diesem Versuch der öffentlichen
Delegitimierung der Angeklagten wieder zum Einsatz.
Nun, da
unsere Analysen und Hypothesen bezüglich der „düsteren“ Motive des
deutschen Staats ein Fass ohne Boden sein können, ist das Wichtigste für
uns als Bewegung gegen die zunehmenden repressiven Kampagnen
aufzustehen und darüber nachzudenken, wie wir als Kollektiv unsere Werte
und Praxen im Geiste der Solidarität und gegenseitiger Hilfe
verteidigen können. Denn für uns ist es von vorn herein klar, dass die
Entscheidung zur Verbreiterung unserer Politik durch direkte und
antiinstitutionelle Kämpfe zu immer mehr Repression führen kann. Der
Staat und das Kapital verteidigen lediglich ihr Fortbestehen, wenn sie
alles Feindliche unterdrücken. Aus diesem einfachen Grund war, ist und
bleibt Repression immer ein Teil des Kampfes selbst. Auch deshalb ist
unser Vorschlag und Angebot die Solidarität für Alle, die von Repression
betroffen sind. Im Augenblick, wo der Staat seine Zähne zeigt und seine
Klauen ausfährt, müssen wir gemeinsam dagegen halten. Indem wir die
Repression, die Teile unserer rebellischen Strukturen trifft,
kollektivieren, machen wir deutlich, dass wir durch die rachsüchtigen
Taktiken des Staates nicht nur entschlossener werden, sondern
verwirklichen gleichsam die Parole „Getroffen hat es Eine*n – gemeint
sind wir alle“.
Es kann keine Lösung für uns darstellen, unsere
Mitstreiter*innen zu isolieren oder auszuschließen. Je mehr der Kampf
sozialisiert wird, um so größer wird die Interaktion und Verbindung von
unterdrückten Menschen und sozialen Gruppen. Sobald der Staat Fälle
konstruiert, Knäste bereithält und die Fesseln enger werden, wählen wir
die Solidarität, um die Mauern zwischen uns einzureißen um an ihrer
statt Brücken der Unterstützung, Solidarität und des Gegenangriffs zu
errichten.