Trotz der sich scheinbar überschlagenden Ereignisse der letzten zwei Wochen ließen wir wenig von uns hören. Keineswegs waren wir aber untätig. In den letzten Tagen haben wir mit vielen handwerklich begabten Freund*innen Stromleitungen neu verlegt, alte Türen gegen brandschutzsichere eingetauscht, repariert, verputzt, bauliches Wissen ausgetauscht, gemeinsam gegessen und gearbeitet. Auch findet momentan wieder jeden Freitagabend Kiezradio statt, das zukünftig weiter vom Jugendclub Keimzelle organisiert wird und zu dem sich Nachbar*innen und Freund*innen aus anderen Stadtteilen in der Rigaer Straße versammeln. Zahlreiche nächtliche Angriffe zeugen von der Vielfältigkeit der Mittel, dass unser aller gemeinsamer Kampf gegen die Stadt der Reichen an vielen Orten konsequent geführt wird und erwärmen unsere Herzen. Unweit des Dorfplatzes fand am 10. März ein Konzert mit 500 Menschen statt. In einigen Scharmützeln mit den Bullen wurden mehrere Personen festgenommen, denen unsere Solidarität gilt. Nachbar*innen veranstalteten eine Pressekonferenz vor unserem Haus und Initiativen der Berliner Mieter*innenbewegung solidarisierten sich in einem offenen Brief gegen die Instrumentalisierung unseres Hauses zu Wahlkampfzwecken.

Es wird somit einmal mehr deutlich, dass der Zugriff von Staat und Kapital auf unseren Wohnraum, unsere Leben und Träume stets mit Widerstand von Seiten der Unterdrückten, der Ausgestoßenen, der Jugend und der Unangepassten rechnen muss. Doch während der Frontalangriff der politisch Verantwortlichen und Immobilienspekulant*innen auf einige der letzten verbliebenen Orte der Selbstorganisation und Autonomie dieser Stadt stolpert und die Hauptstadtpresse sich an diesem Spektakel ergötzt, laufen die Säuberungsaktionen des Berliner Senats anderswo heimlich weiter. So werden nach der stadtweit wahrnehmbaren Räumung der Rummelsburger Bucht weiterhin wohnungslose Menschen von ihren selbst bestimmten Schlafplätzen geräumt und ihr gesamtes Hab und Gut weggenommen und zerstört. Menschliche Würde ist den Herrschenden einfach nichts wert. Das scheinheilige Argument des Brandschutzes wurde auch von der Stadt Duisburg bei der Räumung drei bewohnter Häuser benutzt, um die rassistische Tatmotivation hinter der Verdrängung migrantisierter Bewohner*innen, Sinti und Roma zu Gunsten von Luxuswohngebieten zu verstecken.

Alte Gewissheiten

Nachdem am 9. März eine Gutachterin des Bezirks unser gesamtes Haus zwecks Brandschutz untersuchte und eine Mängelliste erstellte, ist Rot-Rot-Grün noch mehr zerstritten. Das erstellte Gutachten bestätigt unsere bisherigen Erklärungen, dass nicht einn Teil der Rigaer94 in einem brandschutztechnischen Zustand ist, der eine sogenannte Notfallevakuierung notwendig machen würde. Die festgestellten Mängel ließen sich bereits eigenhändig und selbstverwaltet von uns beheben, es muss sich also niemand anderes mehr darum kümmern. Wenn 1.800 Bullen diese Türen zerstören und diesen Ort verwüsten, dann nur um uns – ob angetäuscht durch eine Razzia, durch eine langwierige Belagerung oder in plötzlicher Massivität – räumen zu wollen.

Jegliche Gerichte gehen dieser Tage – nichts anderes hätten wir erwartet – mit dem politischen Druck. Hatte am 11. Februar das Kammergericht sich dafür entschieden, eine britische Briefkastenfirma aufgrund eines teuer erkauften Rechtsgutachtens zu legitimieren, so wurde dieses Urteil nach dem Widerspruch von einer der mutmaßlich insgesamt 28 verklagten Personen am 9. März vom Landgericht bestätigt. Nach unzähligen jämmerlich gescheiterten Versuchen Bernaus sein erster juristischer Sieg seit 2016. Gleichzeitig beschäftigte sich ein Verwaltungsgericht mit einem Eilantrag des Anwalts v. Aretin gegen den Bezirk, die Rigaer94 nicht betreten zu dürfen. Heraus kam der Beschluss, dass der Bezirk uns eine Duldungsanordnung schicken muss, die Vertreter einer Briefkastenfirma in unser Haus zu lassen. Aus diesem Verfahren resultiert auch die gerichtliche Anweisung an die politische Ebene, dass der ursprünglich angesetzte Termin vom 11. und 12. März nicht einzuhalten sei. Kurz darauf versuchte sich der Bezirk mit einem Antrag vor dem Verwaltungsgericht der Verantwortung zu entziehen. Dass dies vom Verwaltungsgericht abgeschmettert wurde, wurde dermaßen mit Hohn von Seiten des Senats quittiert, dass man den Aufregungsschweiß der Verantwortlichen endlich in unser Haus einzudringen bis in unseren Garten riechen konnte. Es folgt daraus: Ein Großeinsatz ist nicht abgewendet, sondern weiterhin – mit einer mehrtägigen Ankündigungsfrist – möglich.

Politische Irrungen und Wirrungen

Selbstorganiserte Räume wie die Rigaer94 fungieren weiterhin als Projektionsfläche der innenpolitischen Konflikte dieser Stadt. Dass die seit Jahren schwelenden Konflikte zwischen dem Senat (u.a. Andreas Geisel), dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg (u.a. Florian Schmidt, Monika Hermann) und der „Immobilienbranche“ (Nudelmann & Friends, Dirk Frömter, Gijora Padovicz und dessen Sohn Jerry, Markus Bernau, Thorsten Luschnat, v. Aretin) aktuell offen ausgetragen werden, ist nicht zuletzt als Teil des Kampfes um Stimmen im bevorstehenden Wahlkampf zu verstehen. Wenn jetzt Schmidt den Senat oder eine Briefkastenfirma verklagt, um sich nicht vorschreiben lassen zu müssen, wer, wann, in welches Haus gehen soll, dann tut er dies für sich und seine politische Position. Diese ist nicht zuletzt seit seinem fahrlässigen Vorgehen im Bezug auf unser Haus gefährdet. Wir haben ihm gegenüber klargemacht, dass er unter keinen Umständen unser Haus betreten wird, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Innensenator Geisel wurde der Lüge überführt, es würde nur um Brandschutz gehen und nicht um einen Räumungsversuch, und die prinzipien- und anspruchslose Berliner Klatsch-Presse macht sich mit ihren “Recherchen” ohne jeglichen inhaltlichen Wert weiter lächerlich. Geisel wiederum zeigt, dass er doch nicht ruhiger und besonnener als sein Vorgänger Henkel handelt und arbeitet akribisch daran sich in dieselbe Situation zu bringen. Nicht zuletzt, weil er und andere Brandstifter*innen ihre eigenen staatlichen Stellen (Bezirksamt, Bauaufsicht, usw.) diskreditieren und behaupten, ihre Gutachten seien nichts wert. Dem stimmen wir so erstmal zu. Wie aber Luschnat, der Verkehrsanwalt Bernau, v. Aretin oder die Bullen eher dazu in der Lage wären, den Zustand unseres Hauses festzustellen, ist uns ein Rätsel. Nach der Überprüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen im November 2020, dessen Arbeit als “Gefälligkeitsurteil” abgetan wurde, nach der Begehung einer Sachverständigen der Bauaufsicht Anfang März, deren Arbeit als unvollständig galt und ihrer Rückkehr am Montag, den 22.3., um unsere Behebung der Mängel zu begutachten, müsste auch dem*der Letzten klar sein, dass es keinen Grund gibt, sich um unseren Brandschutz zu sorgen. Geisel selbst wird nichts destotrotz seinem Hang zur Law & Order Politik nachgeben und weiter darauf pochen die genannten Schergen in unsere vier Wände zu lassen, um ihm und der SPD in der anstehenden Wahl zusätzliche Wähler*innenstimmen zu bescheren – ein wirklich billiger und abgenutzter Trick. Eine Strategie, die er schon im Wrangelkiez und auch im Görlitzer Park zum Einsatz gebracht hat. Die Regierung ist sich sicher auch bewusst, dass sie mit ihren angeforderten 1.800 Bullen faschistischen Strukturen die Türen unseres Hauses öffnet. Der lästige von den Grünen geführte Bezirk und allen voran Florian Schmidt sollten dafür der Hammer sein, der unsere Tür zerschlägt und dabei selbst bricht. Dass unser Haus 2015 für 1,2 Millionen verkauft wurde und heute für mehr als 3 Millionen Euro gehandelt wird ist nur eine Randnotiz, die zeigt, dass politische “Dringlichkeit” eben nicht an soziale Notwendigkeiten, sondern an Profite geknüpft ist.

Widersprüche aushalten

Der Schritt unserem Brandschutz nachzukommen, kommt nicht ohne Widersprüche. Es liegt in unserem eigenen Interesse uns und unsere Nachbar*innen im Falle eines Brandes nicht zu gefährden. Aufpassen müssen wir auch deshalb, weil wir mit unseren Ideen im Fadenkreuz verschiedener, kleinerer und größerer Brandstifter*innen von Kurt Wansner, über organisierte Nazis, bis hin zu tiefen Strukturen im Bullenapparat stehen.

Den Brandschutz durch den Bezirk vor dem geplanten Bulleneinsatz prüfen zu lassen, hat die Spaltung zwischen Geisel und Schmidt persönlich, als auch innerhalb des Senats vertieft. Außerdem entzieht es der von CDU angetriebenen Intervention in unserem Haus die vermeintliche Rechtfertigung. Nachdem dieses Thema als Finte entlarvt wurde, müssen sich die Möchtegern-Strateg*innen der bürgerlichen Parteien nun wieder etwas neues ausdenken. Jedoch wäre es eine Lüge, wenn wir sagen würden, dass dies die einzigen Gründe waren, dem Brandschutz nachzukommen. Dabei zeigen sich in unseren Diskussionen auch die Widersprüche, die damit einhergehen. Seit Wochen leisten viele Menschen in diesem Haus großartige Arbeit, um eine Mängelliste abzuarbeiten, die wir nicht selbst aufgestellt haben. Wir verstehen dies nicht nur als pure Unterstützung eines einzelnen Hauses, sondern als politische Arbeit zum Erhalt unser gemeinsamen autonomen Strukturen. Nachdem wir über einen längeren Zeitraum zur Reaktion gezwungen waren, liegt nach diesen Arbeiten die Initiative nun wieder bei uns. Dabei ist klar, dass “Brandschutz” mitnichten ein Thema ist, um das sich ein politischer Kampf führen ließe. Niemand will in den eigenen vier Wänden verbrennen – das ist klar. Das ein staatliches Zertifikat aber mehr Aussagekraft haben soll, als die Bewohner*innen dieser Wände ist einfach gesagt Quatsch. Auch deshalb fragen wir uns, ob all die Zeit, die jetzt ins Bauen fließen musste, besser an anderer Stelle aufgehoben gewesen wäre. Ein Einsatz ist auch durch unsere Arbeiten nicht abgewendet und wir bereiten uns weiterhin auf einen – wie auch immer gearteten – Angriff vor. Kollektiv stellen wir uns immer wieder die weitaus größere Frage nach unseren Prioritäten, inwieweit wir auf Angriffe direkt reagieren müssen oder aber unserer eigenen politischen Agenda folgen können.

Ein verändertes Szenario

Die letzten Wochen waren für uns alle, in und außerhalb des Hauses anstrengend. Wir waren mit einer sich täglich, manchmal aber sogar stündlich verändernden Situation konfrontiert. Neben den geschilderten praktischen Aufgaben haben wir dutzende Stunden in Diskussionen verbracht, um unsere Ideen in unserem Handeln deutlich zu machen. Auch im Austausch mit anderen Menschen ist klar geworden, dass wir das nicht immer geschafft haben. Die Komplexität der Situation ist mit Sicherheit ein Grund, die geschilderte Absurdität des Angriffs ein anderer dafür gewesen. Aus der akuten Bedrohung durch einen Belagerungs- und Räumungseinsatz ist ein Geduldsspiel geworden, in dem wir wieder einmal zeigen müssen, dass wir den längeren Atem haben. Aber Geduld heißt in diesem Fall mitnichten Abzuwarten. Vielmehr muss es uns darum gehen, den aufgebauten Druck auf der Straße zu intensivieren. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir kollektiv dazu in der Lage sind. Dazugekommen ist auch der Termin für die Räumung der Meuterei, die am 25. März stattfinden soll und natürlich auch von uns verlangt, den Blick über unsere vier Wände hinaus zu richten. Auch wenn der rot-rot-grüne Senat seine Räumungsagenda mit Nachdruck vorantreibt, ist das letzte Wort im Kampf um die Stadt noch lange nicht gesprochen. Wir werden, wie so viele andere, wieder einmal und zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der Straße sein, wenn es darum geht Orte der Selbstorganisation und Autonomie zu verteidigen.

Dass die Lautsprecher*innen in Senat, Bauaufsicht oder Bezirk nach ihren offensichtlich gescheiterten Spielchen jetzt nicht einfach mal demütig die Schnauze halten sagt mehr über sie, als die tatsächliche Situation in unserem Haus. Es geht darum einen vom CDU-Innensenat (bis 2016) intensivierte und vom Rot-Rot-Grünen Senat (seit 2016) weitergeführten Kampf gegen die selbstverwalteten Strukturen der Stadt Berlin im Jahr 2021. Es geht um Gentrifizierung, den Ausbau des Bullenstaats und darum, jeden Widerstand gegen das Projekt der Stadt der Reichen zu ersticken. Wir befinden uns in einem offenen Konflikt mit alljenen, die sich die Zerstörung emanzipatorischer Kämpfe auf die Fahnen geschrieben haben. Sollte es tatsächlich zu einem Polizeieinsatz mit Gemetzel kommen, wie von der Linke-Senatorin Breitenbach angekündigt, werden wir uns dabei nicht in die passive Rolle drängen lassen.

Kommt zur Demo am 23.03. um 18.00 Uhr von der Meuterei in die Rigaer! Auf zu dezentralen Aktionen und der TagX-Demo der Interkiezionale um 19.00 Uhr am Tag der Räumung der Meuterei, welche für den 25.03. angekündigt ist!

Wenn sie versuchen, uns zu brechen, werden wir explodieren!

Eure Rigaer94