Am Sonntag, den 23.10. titelte das Berliner Schmierblatt B.Z.: „Mietwucher im geräumten Haus ‚Liebig 34‘ – Mieter in Angst vor Hausverwalter“. Laut B.Z. habe er diese Informationen zur Liebigstraße 34 aus Behördenkreisen bekommen. Woraufhin Til Biermann losstiefelte, um in gewohnter Manier in den Lebensumständen Berliner Mieter*innen herum zu schnüffeln. Wir nehmen diesen Artikel zum Anlass, die widrigen Umstände gegen die Mieter*innen heutzutage zu kämpfen haben, aus anderer Perspektive zu erzählen. Von der sonst lieber verdeckt gehaltenen Kooperation staatlicher und nicht-staatlicher Akteure im Sinne des Kapitals handelt dieser Text.

Gijora Padovicz, Ruslan Khatsiev und die „Werttax Group GmbH“

Schon im April 2022 wurden durch eine Dokumentation des RBB einige Machenschaften des Padovicz’-Firmengeflechts „aufgedeckt“. Einer Berliner Initiative ist zudem eine umfangreiche Recherche zum Firmengeflecht Padovicz‘ auf ihrem Blog padowatch.noblogs.org zu verdanken.

Die von der B.Z. so „investigativ“ ermittelten Methoden sind in Häusern im Besitz von Padovicz und unter Verwaltung von Ruslan Khatsiev also mitnichten neu, geschweige denn unbekannt. So wird systematisch vor allem die Not von geflüchteten Menschen ausgenutzt, indem ihnen Wohnungen auf dem bekanntermaßen katastrophalen Wohnungsmarkt in Berlin gegen Barzahlungen und über Mittelsmänner angeboten werden. Die Höhe dieser Zahlungen, allein für die Vermittlung, dann aber auch Vermietung der oft baufälligen, beinahe unbewohnbaren „Wohnungen“ ist genauso Gegenstand der genannten Reportage, wie sie zum Standardrepertoire der Immobilienbranche gehört.

Die Liebigstraße 34 ist nach der Räumung des seit 1990 bestehenden anarcha-queer feministischen Wohnprojektes im Oktober 2020 von innen umgebaut und dabei nicht weniger zerstört worden. Die Außenfassade blieb erhalten, ein paar neue Fenster wurden eingesetzt, Türen scheinbar behelfsmäßig installiert. Im Erdgeschoss zog ein Büro ein, von dem die Baumaßnahmen überwacht wurden. Schon wenige Monate nach der Räumung zogen neue Mieter*innen in einige Wohnungen ein. Es wurde klar, dass dies ein Übergangsmodell Padovicz’ ist, bis sich die Wut über die Räumung legen würde. In der Zwischenzeit kann noch ordentlich Profit aus diesem Gebäude gepresst werden, um es zu einem bis dato unbekannten Zeitpunkt in teure Eigentums- oder Luxusmietwohnungen umwandeln zu können. Dass diese Umwandlung letztendlich auch im Zusammenhang mit einer Räumung der wenige Meter entfernten Rigaer94 steht, ist klar. Denn sowohl Investor*innen als auch der Senat und die Behörden hoffen, dass eine Räumung unseres Hauses den Widerstand der „Autonomen“ gegen Gentrifizierung im einst so widerständigen Friedrichshainer Nordkiez brechen und der profitablen Verwertung des Kiezes einen gehörigen Aufschwung verpassen könnte. Schon 2016 äußerten sich die Berliner Bullen dementsprechend.

Genauso unspektakulär wie der angeblich neue „Mietwucher“ ist die Enthüllung zu „Ruslan K.“, der schon kurz nach der Räumung der Liebigstraße 34 im Oktober 2020, zum ersten Mal im Nordkiez auftauchte. Mit dem Brecheisen griff er damals Passant*innen am Dorfplatz an. Um ihn herum und teilweise mit Schaufeln bewaffnet eben jene Mitarbeiter der „Werttax Group GmbH“ von der jetzt in der B.Z. die Rede ist. Die „Werttax Group GmbH“ hatte ihren Firmensitz lange in einem Padovicz-Haus in Lichtenberg bevor sie in die Liebigstraße 34 zog. Dort haben auch die mit ihr verbundenen Firmen „Haser Kraft Holding GmbH & Co. Besitz KG“ und „Haser Kraft Holding GmbH“ ihren Firmensitz (Daten unter https://www.northdata.de einsehbar). Im Nordkiez, direkt um die Ecke war Ruslan Khatsiev mit seinen Mitarbeitern mindestens noch für das Haus Weidenweg 63 zuständig und mit Sicherheit – ganz anders als in der B.Z. dargestellt – von Padovicz ganz bewusst eingesetzt. Nach 5 Jahren Leerstand konnte Padovicz hier kürzlich die Aufwertung durch unnötige Modernisierung durchsetzen.

„Brandschutzbegehung“ und ein riskanter Plan des „Eigentümers“

Um von Padovicz zu Leonid Medved, dem angeblichen „Eigentümer“ der Rigaer94 zu kommen, scheint nur auf den ersten Blick weit gesprungen. Im März 2021, im Getöse der Versuche unser Haus mithilfe der Krücke des Brandschutzes zu räumen, schrieben wir: „Während das Landgericht Berlin erst am 10.3. über den Widerspruch gegen die Begehung unseres Hauses entscheiden wird, ist uns die brisante Information zu Ohren gekommen, dass es schon in den schmierigen Portfolios von Immobilienspekulant:innen als Verkaufsobjekt gehandelt wird. 1700 m² “unbewohnte Fläche“ zu einem Preis von 2000 €/m². Angeboten möglicherweise durch keinen anderen als einen Projektentwickler des Padovicz-Geflechts, Nudelmann & Friends Immobilien.“. Nun, ehemaliger Geschäftsführer von Nudelmann & Friends Immobilien ist Jerry Padovicz, der Sohn von Gijora Padovicz. Jetzt ist es Benjamin Nudelmann (siehe https://www.northdata.de/). Dieser wiederum scheint eine engere Beziehung zu Leonid Medved’s Tochter zu führen, zumindest konnte das per Instagram verfolgt werden: @lorena.medved und @bennynudel.

Jedoch zuerst einmal zum Brandschutz. Bekannterweise ist aus diesem Räumungsversuch nichts geworden. Stattdessen brannte am 16. Juni erst die Straße vor unserem Haus und am 17. Juni drangen unter starkem Widerstand zwar Hundertschaften der Staatsgewalt in unser Haus ein, zogen nach einigen Stunden jedoch wieder ab.

Es hätte jedoch anders kommen können.

Als am 17. Juni 2021 also vorgeblich der „Brandschutz“ in unserem Haus überprüft und dafür ein Heer aus Bullen und auch Presse unser Haus belagerte, spielten sich viel entscheidendere Szenen ganz in der Nähe ab. Der Termin sollte dem Versuch dienen, den Widerstand im Haus mit dem Einsatz bezahlter Schläger zu brechen. So entschieden es Leonid Medved, sein angeblicher Handlanger Steven Boer in Anwesenheit der Anwälte Markus Bernau und Alexander Freiherr von Aretin im Büro Medveds am Kurfürstendamm 92. Mindestens eins dieser Treffen am Kurfürstendamm 92 soll auch in Anwesenheit eines Beamten der Führungsebene des Abschnitts 51 (Wedekindwache) stattgefunden haben. Die Identität des Beamten ließ sich bisher nicht aufklären, ebenso wenig wie die Frage, ob nicht auch in irgendeiner Form das LKA dabei beteiligt gewesen sein könnte. Möglicherweise wusste die Polizei daher auch über die Identität der 10 weiteren Personen, die sich schon vor der Brandschutzbegehung vor Ort versammelten, Bescheid – schließlich wurden die umliegenden Straßen für einige Tage zur Hochsicherheitszone, stark bestreift und kontrolliert von Hundertschaften und zivilen Beamt*innen. Im Fahrwasser der in die Rigaer94 eindringenden Bullen sollten diese 10 Personen mehrere Wohnungen besetzen. Zehn Tage lang sollten sie nicht nur in der schnellstmöglich geräumten Wohnung im EG des Vorderhauses sondern auch in anderen Wohnungen des Seitenflügels und Hinterhauses wohnen. Die Festnahme eines Bewohners aus der EG-Wohnung wenige Tage vor der „Brandschutzprüfung“ war dafür eine vorbereitende Maßnahme. Den 10 Personen wurden – wer auch immer sich dazu selbst berechtigte – entsprechende Mietverträge ausgestellt. In allen Wohnungen sollten Überwachungskameras angebracht werden, um zu filmen, falls Menschen herein gehen sollten.

Dass weder Anwält*innen, noch Notare oder sonst irgendwelche dubiosen Bürokrat*innen für diese Aufgaben in Frage kamen erschließt sich nur, wenn wir ein wenig genauer nach der Art des Auftrags fragen. So wurde den versammelten Schlägern eine Art Ausnahme vom sonst so hochgehaltenen staatlichen Gewaltmonopol erteilt und sie wurden dazu angewiesen, die von ihnen besetzten Wohnungen zur Not mit Gewalt zu verteidigen. Die Konfrontation mit uns, den Bewohner*innen des Hauses, hätte somit Ausmaße annehmen können, die wir uns hier nicht weiter vorstellen wollen.

Die Informationen über das schmutzige Geschäft mit dem Brandschutz bekamen wir über Klaus* (Name geändert).

Wenige Monate nach der Brandschutzbegehung kontaktierte Klaus uns über einen unserer Anwält*innen. Klaus ist aber nicht einfach irgendein Klaus, sondern war am 17. Juni Teil der genannten angeworbenen Schlägertruppe. Angeworben wurde er über Kontakte zwischen Norbert Siegmund, einem Reporter des RBB, der sich, seitdem sein Team in der Rigaerstraße von Orangen getroffen wurde, in persönlicher Feindschaft zu dieser befindet, und Leonid Medved. Auf den brisanten Einsatz vorbereitet mithilfe von Dokumenten über Grundrisse und Personenangaben, die von der Polizei über Medved an Klaus gesendet wurden. Versprochen wurden ihm für diesen Job 1.800€, die er nie erhielt. Stattdessen wurde er am, auf die Brandschutzbegehung folgenden Tag, in Medveds Büro mit 200€ abgespeist. Weil Klaus nicht bezahlt wurde, musste er sich anderweitig über Wasser halten. Da er die hier geschilderten Informationen von der Zusammenarbeit von Senat, Bullen und Immobilienmafia belegen kann, trafen wir uns mit ihm. Im Gespräch schilderte er den beschriebenen Ablauf und seine Rolle als Teil der Schlägertruppe. Darüber hinaus verwies er auf das Mitwissen von Senat und Bullen und stellte Belege gegen die Zahlung von 5000 Euro in Aussicht.

Vor nun über einem Jahr und auch danach haben wir darüber diskutiert, wie wir mit Klaus und den versprochenen Informationen umgehen wollen. Damals haben wir uns dazu entschieden, Klaus an einen Journalisten des „Spiegel“ zu vermitteln, da wir dachten, dass diese Geschichte dort eine größere Reichweite erzielen und noch weitere Recherchen erfolgen würden. Wir haben uns selbst unzählige Male über den Fortschritt des Artikels zum Thema erkundigt und sind nun mehr als ein Jahr lang vertröstet worden.

Berliner Immobiliengeschäft, die Politik und parastaatliche Strukturen

Weder die damals regierende Koalition aus SPD, Linken und Grünen noch die Berliner Bullen wollten offen zugeben, was wir vermutet und ausgesprochen hatten: Lediglich mit einer Eilentscheidung Berliner Gerichte, ohne tiefgehende Prüfung der rechtlichen Vorraussetzungen, im Gepäck sollten zugunsten des „Eigentümers“ unseres Hauses und der Befriedung eines „rechtsfreien“ Raumes Tatsachen geschaffen werden. Zur Not auch durch den Einsatz bezahlter, nicht-staatlicher Gruppen. Wir sind uns der Brisanz der Verwendung des Begriffs „parastaatlich“ bewusst, kommen aber nicht um ihn herum wenn es darum geht aufzudecken, wie Berliner Politik und Bullen, Immobilienmafia und bezahlte Schläger Hand in Hand agierten, um sich unserer zu entledigen.

Insgesamt geht auf das Konto der rot-rot-grünen Regierung eine beispiellose Räumungswelle zahlloser Wohn- und Kulturprojekte, die auch vor der Liebig34 nicht aufgehalten werden konnte. Als Argumente für die Räumung wurden damals von Seiten der Regierenden auch die Klärung der Mietverhältnisse und die „Auflösung rechtsfreier Räume“ genannt. Und auch wenn wir weder für das eine, noch für das andere Argument irgendeine Sympathie aufbringen können müssen wir feststellen, dass beides nicht gelungen ist. Stattdessen wurde mit der Liebig34 ein Ort kollektiver Organisierung zerstört und an seine Stelle ein weiterer geschaffen, an dem auf dem Rücken der Marginalisiertesten Profite generiert werden. Auch die Situation in der Liebigstraße 34, die Praktiken der Ausbeutung von Mieter*innen, wird dementsprechend keine Unbekannte für die Berliner Politik sein. Allein schon die aus „Behördenkreisen“ an die B.Z. gelieferte Information spricht dafür.

Die sonst so auf „rechtssicheres“ Handeln fixierte Regierung Berlins unter SPD-Führung, ob nun rot-rot-grün oder rot-grün-rot, kooperiert(e) mit parastaatlichen Gruppen, um die Rigaer94 zu räumen. Die von diesen Gruppen gewählten Methoden können an den Politiker*innen und am verantwortlichen Innensenator Andreas Geisel nicht vorbeigegangen sein. Nicht umsonst werden die Akten der Einsätze rund um die Rigaer94 nie der Öffentlichkeit in Gänze transparent gemacht werden – wie es auch mit den Akten im Zuge des gescheiterten Einsatzes im Sommer 2016 unter Frank Henkel geschah. Ganz im Gegenteil: das von uns geschilderte ist kein zufälliges Ergebnis politischer Entscheidungen, sondern zwingendes Resultat einer städtischen Politik, die immer zugunsten von Investor*innen und ihrer ungehemmten Profitgier und zu Ungunsten der Menschen die in dieser Stadt leben, handeln wird. Es lassen sich sicher viele weitere Beispiele dafür finden. Die Aussagen von Klaus belasten sowohl den Senat, als auch die Bullen schwer. Diese müssen sich die Frage gefallen lassen, ob es sich bei den hier geschilderten Vorgängen noch um die so gehypte „private-public partnership“ (öffentlich-private Zusammenarbeit) handelt oder nicht vielmehr nicht-staatliche Akteure mit „staatlichen Gewaltrechten“ ausgestattet wurden, um den Widerstand im Nordkiez im Speziellen, aber die Idee einer herrschaftsfreien Welt im Allgemeinen zu bekämpfen.

Übrigens: Nach 2 Jahren des Tauziehens um unseren Brandschutz, kann dieses Thema nun als erledigt betrachtet werden und dürfte keinen neuen Räumungsversuchen als Hintertür dienen. Alle Baumaßnahmen wurden erfolgreich von unserer Seite abgeschlossen. Auch von rechtlicher Seite sind alle eilig getroffenen Entscheidungen auf anderer Ebene wieder revidiert. Zwei der zahlreichen Räumungsklagen gegen die gemieteten Wohnungen des Seiten- und Hinterhauses vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg, sind bereits abgewiesen worden. Sie sind wieder einmal als unzulässig bewertet worden.

Rigaer94