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8 May 2020
An english version is available below
wir bekommen einen Anruf unseres Anwalts, welcher eine telefonische Drohung der Bullen an uns weiter gibt. Inhalt der Drohung war, dass sie die Rigaer94 betreten werden, wenn die Kadterschmiede nicht offiziell geschlossen wird. Daraufhin kündigten wir, nach einer gezwungenermaßen kurzen Diskussion, über Twitter und auf unserer Website an, dass wir an diesem Tag nicht öffnen würden.
Bereits gegen 20 Uhr befanden sich etwa zehn Mannschaftswagen der Bullen in der näheren Umgebung und an der Wedekindwache (Bullenstation im Friedrichshainer Südkiez) stand schweres Equipment der Technischen Einheit bereit. Für den Großteil des Abends wurde der Raum zwischen Rigaerstrasse , Zellestrasse und Dorfplatz von Cops besetzt und durch Bullenketten abgeriegelt. Vor unserer Tür war wieder einmal die, zu diesem Zeitpunkt noch neue, BP-Einheit (Brennpunkt-und Präsenzeinheit [1] ) stationiert. Vertreter der größeren Klatschblätter und Massenmedien warteten ebenfalls vom frühen Abend an in der Strasse.
Einige Tage zuvor hatten wir einen Text mit dem Titel “Selbstorganisation im Ausnahmezustand – Warum wir offene soziale Räume für wichtig halten”[2] veröffentlicht und in den Straßen plakatiert. Auch wenn wir immer noch politisch dahinter stehen, war das in zweierlei Hinsicht ein Schuss ins Blaue. Weder hatten wir die Reaktion unseres Feindes in Gestalt des Staates bedacht, noch alle Unsicherheiten bezüglich hygienischer Maßnahmen aus dem Weg geräumt. So waren wir, mangels einer tiefergehenderen Diskussion und Analyse rund um die Öffnung unserer Räume, auch nicht auf die sich ankündigende Repression an diesem Mittwoch vorbereitet. Wir stapften also geradewegs in unsere eigene Falle da wir nicht in der Lage waren jedwege Entscheidung, die wir hätten treffen können, kollektiv zu verteidigen.
Schlussendlich sagten wir unsere VoKü ab und schlossen die Kadterschmiede. Der Mangel an kollektiver Analyse bezüglich unserer vorangegangenen Entscheidung sowie der Zeitdruck zur Entscheidungsfindung am Mittwoch zeigten inhärente Probleme in unserem Vorgehen auf. Kritik bezüglich der Öffnung der Kadterschmiede, die Einzelnen gegenüber zuvor geäussert worden war, das unübersehbare Statement der Szene zur Schließung fast aller kollektiver Räume (welchem wir mit der Öffnung entgegenwirken wollten) und die damit einhergehende Abwesenheit offener Solidarität mit unserer Entscheidung, eigene Unsicherheiten zum Umgang mit dem Virus, all das führte uns zu dieser Entscheidung.
Als Anarchist*innen werden wir stets gegen (staatliche) Repression kämpfen. Die Bildung einer solidarischen Bewegung ist ein zentrales Werkzeug zur Bekräftigung dieser Kämpfe, unsere Entschlossenheit und unsere Beharrlichkeit die Spitze unseres Speeres. Wir kämpfen gegen die Existenz des Staates und die Befehle, denen er uns unterwerfen will. Wir analysieren und untersuchen seine Diktate kritisch, stellen unsere eigenen Analysen auf und verteidigen diese. Gleichzeitig müssen wir uns unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten bewusst sein, Prioritäten und Ziele bestenfalls so gesetzt sein, dass sie uns alle voranbringen. Die Situation, mit der wir und unsere nächsten Nachbar*innen seit einigen Monaten vor unseren Haustüren konfrontiert sind, also ihre buchstäbliche Belagerung durch die Handlanger des Staates, welche jede Bewegung in und aus dem Haus zu kontrollieren versuchen, bringt uns in eine sehr defensive Position. Der Staat versucht Freund*innen, Gefährt*innen und Nachbar*innen davon abzuhalten, uns zu besuchen. Das Ziel unserer Feinde, uns zu isolieren, ist offensichtlich. Dass der offene Konflikt mit den Autoritäten, den wir immer auszuweiten suchen, auf eine harte Reaktion ihrerseits stößt, überrascht nicht. Also nichts Neues, nichtsdestotrotz erdrückend, solange wir eine Abwesenheit von Solidarität aus einer anarchistischen und linksradikalen Szene empfinden. Dementsprechend können wir unsere Entscheidung vor einem Monat, die Kadterschmiede zu schließen, nachvollziehen, wollen uns jedoch gleichzeitig in den Mittelpunkt der (Selbst-)kritik stellen, wie mit einem solchen Dilemma, das sich uns stellte, umgegangen werden kann.
Jedoch, trotz aller Widersprüche und Verfehlungen, durch kollektive Reflektionsprozesse werden wir mit unseren Fehlern konfrontiert und sie befähigen uns, aus ihnen zu lernen. Ein horizontales und antihierarchisches Vorgehen wird durch diese Risiken nur wichtiger, sie zeigen uns klar, wie wichtig ausführliche Diskussionen sind. So können wir kollektive Antworten finden und damit unser Vorgehen stärken. Auf dass wir in der Zukunft unseren Unterdrückern stärker entgegen treten können, mit geeigneteren analytischen Werkzeugen und Argumenten und besseren Reflexen.
Unsere offenen Strukturen sind eines der wenigen real greifbaren Beispiele, die durch die Prozesse zum Aufbau kollektiver Strukturen, die sich selbst organisieren und verteidigen können, unsere politischen Vorstellungen erfahrbar machen. Durch sie kommen wir in Kontakt mit der Gesellschaft und anderen radikalen Splittern; ein Kontakt, der die von Staat und Massenmedien kreierten Bilder durchbrechen kann. Beziehungen können entstehen und sich bilden, es gibt Raum und Zeit für politisches Wachstum und Diskussion. In der Kadterschmiede können wir Essen gegen Spende an Menschen, die es brauchen oder jene, die schlicht nicht an dessen Kommerzialisierung teilhaben möchten, ausgeben, wir öffnen einen Raum mit dem Bewusstsein um verschiedene Formen der Diskriminierung und dem Ziel, diese zu bekämpfen. Zudem bieten offene soziale Räume die Möglichkeit sich auch zu Zeiten steigender soziale Spannungen zu treffen und zu organisieren. Sie bringen die soziale Spannung in ihre Gegenden und werden zu Zentren der Kämpfe, die Feind*innen der Autorität, des Staates und des Kapitals willkommen heißend, in offener Feindschaft zu denen, welche die Strukturen des Systems aufrechterhalten
Aus diesen Gründen – und sicher gibt es noch mehr – sind wir überzeugt, dass offene Räume ein unverzichtbarer Teil einer anti-autoritären Bewegung sind und diese verteidigt werden müssen. Aus diesem Grund hatten wir vor etwa einem Monat in unserem Text “Selbstorganisation im Ausnahmezustand – Warum wir offene soziale Räume für wichtig halten” erklärt, dass wir die Kadterschmiede offen halten werden, auch in Zeiten von Corona.
Gleichzeitig beunruhigt uns die Realität, die wir tagtäglich erleben, weiterhin. Dass gerade in Zeiten dieser Krise – durch die Bank weg – fast all unsere Infrastruktur geschlossen hat und viele politische Prozesse vertagt wurden oder eingeschlafen sind, besorgt uns. Glücklicherweise haben sich auch neue Strukturen gebildet. Wir alle müssen mit einer Situation zurecht kommen, in der augenscheinlich ein Großteil der, auch der sonst kritisch denkenden, Menschen die Richtlinien des Staates ohne Widerstand akzeptieren. Die Fähigkeit, sich an eine neue Ordnung anzupassen, kann oft notwendig sein, nichtsdestotrotz braucht es gleichermaßen eine Antwort auf und Widerstand gegen die Forderungen, denen sie uns unterwerfen wollen. Mit einem Gefühl von politischer Verantwortung und der Gewichtigkeit unseres Handelns im Hinterkopf empfinden wir den Raum, den die Repression von Tag zu Tag gewinnt, gefährlich. Wir sind weiter davon überzeugt, dass alle für sich selbst entscheiden können wo sie hingehen möchten, wie lange sie spazieren gehen möchten, wie lange sie im Park sitzen möchten und mit dem sie dort sitzen mögen. Dabei kann solidarisches Handeln natürlich weder mit noch ohne Ausnahmezustand die Bedürfnisse anderer einfach ignorieren. Deshalb wollen wir neue Strategien und politische Antworten gegen unsere Unterdrücker finden. Antworten, die einen generellen Vorschlag einer Gesellschaft in Solidarität, Freiheit und Gleichheit, unterstützen und verteidigen.
Und so führt uns diese Situation dazu, neue Ideen vorzubringen, um unseren Kampf hier im Nordkiez weiterführen zu können. Wir freuen uns über das spontane Zusammenkommen zur Reflektion von Aktionsmöglichkeiten im Ausnahmezustand, das zu Versammlungen wie der am Kotti[4] und der Fahrraddemo[5] geführt hat. Seit einem Monat gibt es jede Woche von unseren Balkonen vom Jugendclub Keimzelle ein Kiezradio mit Informationen, inhaltlichen Beiträgen und Analysen, Musik, Quizzes und Bingo. Das knüpft neue Verbindungen zwischen uns anderen jungen Menschen und unseren Nachbar*innen, ob auf der Straße oder auf den Balkonen, aber klar sichtbar und die Straßen und Plätze zurück fordernd. Einige unserer Nachbar*innen berichten auch, dass sie nach dem Radio zum ersten Mal untereinander ins Gespräch kamen. Außerdem machen wir auch eine VoKü vor unserer Haustür, die aus den zuvor erwähnten Gründen Essen gegen Spende anbietet und einen kollektiven Raum öffnet. An den Di- und Donnerstagen gibt es eine Abgabestelle für dringend in den Lagern an der griechischen Grenze benötigte Medikamente und Spenden für Gefangene.[3]
Wir hoffen, nachdem nun bald zwei Monate des Ausnahmezustands hinter uns liegen, eine Diskussion in anti-autoritären und anarchistischen Strukturen mit an zu feuern, wie wir mit der aktuellen Situation umgehen können, wie wir trotzdem eine Kontinuität in unseren politischen Prozessen halten können, wann wir offene soziale Räume offensiv wieder öffnen sollten ohne uns darin von Entscheidungen des Staates abhängig zu machen. Und so arbeiten wir daran, die Kadterschmiede wieder vollständig zu öffnen und sind bereit zu kämpfen, für rebellische Nachbarschaften und die Revolte gegen jegliche Mechanismen der Macht.
Rigaer94
our lawyer told us that he should pass on a telephone threat from the police to us. The content of the threat was that the cops would enter Rigaer94 if Kadterschmiede would not close officially. After a due to timepressure admittedly short discussion, we then announced on twitter and our website that we would not open that day.
Already at 8 p.m. there were about ten team cars of a cop unit in the next vicinity and at the Wedekindwache (cop station in the south of Friedrichshain) the technical unit provided heavy equipment. For a large part of the evening the area of Rigaer Strasse, between Zellestrasse and Dorfplatz, was occupied or cordoned off by police chains. In front of our door the new BP-unit (Brennpunkt- und Präsenzeinheit /“CriminalHotspot and Presence-Units“ [1]) was stationed again. The usual yellow press and massmedia had been informed and was present on the street from early on.
A few days earlier we had published and postered a text with the title “Self-organization in a state of emergency – Why we still consider open social spaces important”[2]. Though we still politically think it‘s the right thing to do, we took a shot in the dark in two aspects. Neither had we considered the reaction of our enemy in the form of the state, nor had we removed all the uncertainties among ourselves regarding hygiene issues. So, because of our lack of a wider discussion and analysis around the topic of opening our own space we also seemed unprepared for the repression on that Wednesday. We had fallen right into the trap we set ourselves, as we would not have been able to defend any decision we could have made collectively.
Finally, we canceled our regular KüFA/VoKü and closed Kadterschmiede. The lack of collective analysis on the issue and the time pressure revealed the problems that were hidden in our procedures. The critiques that some of us had received individually for opening Kadterschmiede one week earlier, the massive statement of the scene on closing the collective spaces (which actually we wanted to counter with opening) and therefore the absence of open solidarity to our decision, our personal insecurity on virus issues as well as the avoidance of a potential raid in this scenario, were some of the reasons that led us to this decision.
As anarchists, (state) repression will always find us against it. The creation of a solidarity movement is a key tool for empowerment of the struggle and our fighting spirit and perseverance are the tip of our spear. We challenge the existence of the state and the commands it imposes on us. We analyze and critically examine its dictates, we are making our own analysis and we are fighting for its defense. But at the same time we understand our possibilities and our capacities and we set priorities and goals that will leave a positive legacy to the movement. The situation in front of our door, which we and our close neighbours are experiencing since a few months, which means the siege of the state lacays, controlling nearly every move out of and into this house, brings us into a quite defensive position. The state tries to prevent friends, comrades or neighbours to visit us. The enemy‘s goal of our isolation is clear to us. Our open conflict with authorities which we aim to push further and further, leads to a harsh reaction by them. Nothing new to us, but never the less pressing as long as we feel an absence of solidarity of a leftist-radical and anarchist scene. For these reasons we still retrace our decision of closing our space on Wednesday, while at the same time placing ourselves at the center of (self-)criticism about how to deal with the dilemma posed to us.
But despite all the contradictions and failures, through collective reflections we are confronted with our mistakes and we learn from them. The horizontal and the antihierarchical procedures are validated by these risks but they clearly show us the importance of profound discussion. We form collective answers and we strengthen our procedures. So that in the future we can appear stronger against our oppressors, with more suitable analytical tools and arguments and with more increased reflexes.
These processes of building collective structures, able to self-organize and self-defend become real and an actual example of our political values through our open structures. Through these we come into contact with society and the rest of its radical pieces, a contact ruptures the image created by mass media and the state. Relationships are formed and built, we are having the space and time for political growth and discussion. During the opening of Kadterschmiede it is possible to offer food for donation to people who are in need or simply do not want to participate in the commercialization, we build a space where we are aware of and fight various forms of discrimination. As well, open social spaces offer the possibility, during uprising social tension, for people to meet and organize. They bring the tension in their district and they become centers of struggles, welcoming the enemies of authority, state and capital and being hostile to the ones upholding the system‘s structures.
For these reasons – we are sure that there may be more – we consider open spaces a vital part of an anti-authoritarian movement and their defense necessary. That‘s why we one month ago explained in our text “Self-organization in a state of emergency – why we still consider open social spaces important”that Kadterschmiede remains open even in times of Corona.
At the same time, the reality that we experience every day, continues to trouble us. Through this crisis almost all the movement spaces are closed and a lot of political procedures are postponed, but we as well recognize that new political structures are built. Everyone has to deal with a situation in which the guidelines of the state are apparently accepted without any resistance even by most critically thinking people. Adaptability to the new order of things is sometimes considered necessary but also the political/movement response and resistance to the demands they want to impose on us is equally needed. Understanding the political weight of our actions and the political responsibility of our answers, it continues to trouble us the space that repression is winning day by day. We continue to believe that everyone can decide for themselves where they want to go, how long they want to walk, how long they want to sit in the park, who they want to sit with in the park. Meanwhile acting in a solidaric fashion can not mean to simply ignore the need of others, whether in a state of emergency or without. That‘s why we try to develop new strategies and political responses against our oppressors. Responses that would be able to support and defend our general political proposal for a society of solidarity, freedom and equality.
So, this situation lead us to come up with new ideas to keep up our fight in Northkiez. We welcome the spontaneous assemblies to reflect on possible methods and actions under the state of emergency, which led to manifestations like on Kotti [4] and the bikedemo [5]. For a month the Youthclub Keimzelle is doing a weekly Kiezradio from our balconies with informations, speaches on different topics and analyses, music, quizzes and Bingo. These helped creating new bonds between us other young people and our neighbours, whether on the streets or on the balconies, clearly visible outside, reclaiming the streets and places. Takeaway people kitchen in front of our house, to offer food and collective space for the same reasons as mentioned above. On Tuesdays and Thursdays we collect medication urgently needed in the camps on the greek borders and donations for prisoners.[3]
We want to push the discussion among anti-authoritarian, anarchist structures, now that nearly two months have passed after the implementation of this attempted state of emergency. How to deal with a situation like this, how to keep up the continuity of our political procedures and when to offensively open social spaces again, not making it dependent on a state‘s decision. Like this, we work towards fully opening Kadterschmiede again and are willing to take up the fight, for rebellious neighbourhoods and the revolt against any power mechanisms.
Rigaer94
[3](https://rigaer94.squat.net/2020/04/26/solidaritat-lasst-sich-nicht-in-quarantane-setzen-solida/rity-cant-be-put-in-quarantine/)
[4] Hier gibt es einen de.indymedia Artikel, aufgrund des Ausfalls fehlt leider der Link –
[5] Zur Fahrraddemo wurde leider kein Resume veroeffentlicht, das es keine Katastrophe war hat sicher bei der Entscheidung zur Fahrraddemo zur Walpurgisnacht mitgewirkt –